Skipper hatte ER mittags angerufen und ihn zu einem Treffen auf dem Hausdach von MAIS Kreuzleben eingeladen. Skipper erwartete ihn schon. War schön, dort oben, so weit ab vom Schuss, fast ein Berg-Feeling. Aufgeregt deutete ER gen Himmel und rief:
„Skipper, sieh dir das an! Sieht aus wie eine Riesendrohne, die auf uns zukommt. Sie will hier landen!“
Skipper schien unbeeindruckt. Er ging zu jenem ungewöhnlichen Flugobjekt, das auch noch ungewöhnlich leise war, und half keinem anderen als Pförtner aus dem Cockpit. ER sah ihn mit großen Augen an und staunte:
„Pförtner! Seit wann können Sie fliegen?“
„Wie sieht für dich die Zukunft aus?“
War so klar. Pförtner stellte die Begrüßungsfrage und nicht ER. Pförtner lächelte sein so einnehmendes Lächeln, dass ER sicher niemals diesem weisen Mann etwas nachtragen würde. ER überlegte kurz und meinte:
„Frieden unter den Menschen, wertschätzendes Leben in einer intakten sauberen Natur, gesundes Essen, guter Umgang mit Tieren, gute Technik, an der fleißig weitergeforscht und zum Guten allen Lebens eingesetzt wird. Und gerecht sollte es dabei zugehen. Das nenne ich Gutes Leben!“
Pförtner lehnte seinen Gehstock an die Mauer und blickte über die Stadt irgendwo hin. Er machte eine segnende Geste und sprach dazu:
„Friede Freude Eierkuchen!“
ER fühlte sich leicht verhohnepiepelt:
„Sie haben gefragt, wie ich mir die Zukunft vorstelle. Was spricht dagegen? Habe ich etwas vergessen?“
Pförtner drehte sich um und blickte ER direkt in die Augen:
„Ich sehe kein klares Bild von deiner Zukunft, ER. Frieden, saubere Umwelt, natürlich… Doch, wie sieht das genau aus mit den vielen unterschiedlichen Menschen, die auf der Erde leben?“
ER zuckte seine Schultern:
„Soll ich genauer erklären, wie die Welt dann aussieht? Das wird sich automatisch entwickeln, wenn wir jetzt klare Regeln aufstellen, denke ich. Die Technik entwickelt sich so schnell, woher soll ich wissen, wie die Welt einmal aussehen wird? Ich wusste noch nicht einmal, dass es schon solche futuristischen seltsamen Drohnen-Hubschrauber-Wasauchimmer-Flugkörper gibt, die offensichtlich sogar ohne Piloten fliegen, geschweige denn, dass sie bereits Flugerlaubnis haben…“
„Gib eine klare Richtung vor, ER!
Es ist die 9. Stunde. Zu kennen die Entschlossenheit. Mehr und mehr Boote rudern im Gleichklang. Geduld und Ausdauer zahlen sich aus.“
Damit nahm Pförtner seinen Gehstock mit einem Messinghandgriff in der Form von Ähren, tockte neunmal auf, zog seinen weißen Hut zum Gruß und lächelte aus tausend Sonnenfalten. Skipper half ihm in das Flugobjekt mit vielen Propellern an einem großen runden Träger über dem Rumpf.
Bevor die Tür zufiel rief Pförtner:
„Autonomes Flugtaxi. Fantastisch. So entspannt.“
ER staunte Blauklötze, als das selbststeuernde Flugtaxi leise surrend abhob.
Skipper kam lachend auf ihn zu:
„Wenn das so weitergeht bin ich bald arbeitslos.“
Doch weil ER ein so betretenes Gesicht machte, ergänzte er rasch:
„Nicht im Ernst, ER. Alles wandelt sich. Ich arbeite fleißig mit an der Digitalen Revolution und programmiere und kümmere mich um den Einsatz von KI in Transportfahrzeugen, ob auf dem Wasser, an Land oder in der Luft!“
„Oh, das wusste ich nicht. Klingt interessant. Ist viel zu tun, alles digitalisiert sich“, brabbelte ER vor sich hin.
„Ja. Die nächsten Jahre ist wahrhaftig viel zu tun. Wenn vieles auf den Weg gebracht worden ist und quasi die neue Normalität in Infrastruktur und sämtliche Arbeitsfelder von Industrie und Landwirtschaft einkehrt, wird für die meisten Menschen mehr Freizeit sein. Und, bevor du konterst, ja, sie werden für ihr Leben aufkommen können. Sie werden die Arbeitskonzepte auf den Menschen umstellen. Dein Motto Gutes Leben ist schon in der Zukunft angekommen. Steht als Tagesordnungspunkt auf der To-do-Liste für den Zukunftsrat GN.“
Skipper lachte so herzerfrischend, dass ER entspannte:
„Das klingt etwas erleichternd. Aber Pförtner hat recht. Ich habe noch kein wirkliches Bild von der Zukunft, nur eine schwammige Idee, so, wie Politiker Phrasen daherreden. Es braucht Genaueres für uns alle. Das sehe ich ein. Langsam formt sich etwas aus dem Nebel. Wie das Flugtaxi. Dann die Futterroboter im Hightech-Stall, die Brizzel-Kioske, die vielen SmartDingsies, SmartHome, SmartPhone, SmartWatch… Ob Pförtner das meint? Und welchen Denkwandel meint Frau Augenblick? Die beiden machen es einem aber auch nicht wirklich leicht in dieser immer schwieriger werdenden Welt.“
ER seufzte und zuckte seine Schultern.
„Frau Augenblick hatte einen wichtigen Hinweis gegeben“, meinte Skipper.
„Hinweis? Ja, dass Angst und Wut blockieren. Da hat sie recht. Wie soll ich diese Bremsklötze aus dem Weg räumen? Ich habe selbst Angst, das alles nicht rechtzeitig zu schaffen und, zugegeben, auch Angst vor dem, was kommt, weil ich nicht weiß, was kommt. Schaffen wir es, schaffen wir es nicht? Wird der Mensch das eigentliche Paradies Erde komplett zerstören? Wird die Erde im Chaos versinken und die Menschheit sich selbst vernichten? Wird das Klima sich so schnell verändern, dass wir nicht mitkommen, uns alle darauf einzustellen? Wird es Kriege um Rohstoffe geben? Diese vielen unterschiedlichen Menschen. Wie kriegt man die in ein Boot? Jeder wurschtelt mit seinen eigenen kleinkarierten Problemen rum. Das sieht man selbst ganz oben bei den Machthabenden. Kämpfen um Rohstoffe, maximieren ihre Gewinne, beuten aus, pimpen ihren Größenwahn, für was? Was nutzt ihnen das, wenn das Wetterchaos immer schneller über uns kommt? Nur, weil wir den Rand nicht voll genug kriegen können und uns dem Überfluss willenlos hingeben. Und die Ausgebeuteten werden einfach mit in den Verderb gezogen.
Was nutzen die Glaubenskriege? Kein Q, Q-Feuer der Erde oder wer oder was auch immer wird uns helfen können, egal, wie oft wir am Tag beten. Denn WIR sind es, die das Wetter angeheizt haben! WIR sind es, die nicht begriffen haben, um was es im Leben geht und in welch argen Schwierigkeiten wir stecken. Sie können nur darum beten, dass Q ihnen endlich die Augen öffnen möge. Damit sie endlich erkennen, dass sie unermüdlich das zerstören, das Q angeblich kreiert hat, nämlich die Natur! Das Paradies! Mutter Erde! Und dass täglich aufs Neue jedes Maß der Dinge überschritten wird.
Der Mensch ist einfach entartet. Viele sind weit von der einstigen Verbundenheit mit der Natur entfernt. Dazu kommt diese rasante technische und jetzt auch noch digitale Entwicklung.
Wie soll das gehen, wenn sie die Erde nicht verstehen, sie ausplündern, sich gegenseitig bekriegen und ausbeuten? Wie sollen diese Menschen sich verantwortungsvoll in der digitalen Welt verhalten, wenn sie es in dieser Welt nicht können?
Wir werden alle vom gleichen Problem bedroht, rudern aber dennoch in vollkommen unterschiedliche Richtungen und manche sogar gegen den Strom, weil sie besessen sind von ihrem Ego. Das Ego der Menschen ist kaum zu mäßigen, geschweige denn zu überwinden.
Das Ego der Menschen wird sie kollektiv gegen die Wand fahren lassen. Je eher sie reagieren, desto langsamer wäre der Prozess der Veränderung und sie könnten es besser händeln. Doch ich kenne den Menschen, dieses Monst…, er wird über das Ziel hinausschießen, blauäugig und bequem, und sich dann wundern, wenn alles in kurzer Zeit über ihm zusammenbricht. Dann wird das Geschrei groß sein…“
Klimpern.
„Ja, ich weiß. Klarheit. Wie soll ich da ein genaueres Bild von der Zukunft bekommen? Ich sagte ja Gutes Leben für alle, wozu ich auch stehe. Aber das reicht nicht.“
„Wut und Angst trägst du in dir. Sie klauen dir deine guten Gedanken, die dich voranbringen. Diese schiebe beiseite, damit du klarer sehen kannst. Die Menschen brauchen ein klares Bild, in welche Richtung es gehen soll. Die Menschen brauchen einen klar definierten Weg. Mit einer Vision. Damit sie wissen, warum sie aus ihrem ultrabequemen Sessel aufstehen sollen. Damit sie wissen, was sich für sie verändert und ob sie bei dem groß angekündigten Wandel nicht irgendwo vergessen werden. Die meisten Menschen mögen keine Veränderung, wenn sie einen bequemen Sessel haben. Das siehst du an den Hass-Kommentaren von den Leuten am Rande der Demos.“
„Du meinst, sie haben letztendlich nur Angst, dass man ihnen ihre bequeme Insel zerstört?“, überlegte ER. Da griff er sich an die Stirn:
„Jetzt verstehe ich das, was Frau Augenblick von Miriam zitiert hatte. Die Vorstellung von Frau Fernblick umsetzen! Das ist die Vision von der Zukunft!
Es ist die Richtung, in die ich meinen Blick wenden soll. Ich schaue zu sehr in die Vergangenheit und versuche, da irgendwie raus zu kommen und hoffe daraus auf etwas Gutes für Frau Fernblick.
Es muss aber umgekehrt laufen. Ich sollte in die Zukunft schauen und daraus den Weg anzeigen. Deswegen kommt der Mensch nicht aus dem Quark, weil derzeit zu sehr an der Vergangenheit festgehalten wird. Die Augenblicke von Frau Augenblick entstehen derzeit stets aus den Erinnerungen von Frau Rückblick und bleiben darin haften. Kein Wunder, dass es so schwer für Frau Fernblicks Visionen ist Gehör zu finden.
Genau das ist die Krucks der Geschichte.
Den Blick in die Zukunft richten, so, wie Miriam es gesagt hat! Nämlich, dass aus den Vorstellungen von Frau Fernblick die Augenblicke von Frau Augenblick werden, die dann im großen Archiv von Frau Rückblick auf Ewig aufbewahrt werden. Ja, ja und noch einmal ja. Jetzt endlich habe ich es begriffen. Die Ausrichtung ist es. Es ist lebenswichtig, was die Menschen von Gaia Nova von Frau Fernblicks Vorstellungen im Jetzt von Frau Augenblick umsetzen können, damit es Frau Fernblick gutgeht und sie ewig lebt. Wenn Frau Fernblick ewig lebt, geht es auch allen folgenden Generationen gut.
Wir werden den Fokus auf ihre Zukunftsvision richten. Derzeit klammern wir am Fokus auf die Vergangenheit, wie schön und bequem doch alles war. Wir wollen das Jetzt nicht sehen, weil das, was schön und bequem war, über die Zeit sehr viel zerstört hat. Wir schütteln heftigst den Kopf und wehren es ab, denn es macht ratlos, haltlos, ohnmächtig und es macht tatsächlich Angst und Wut!“
„So ist es. Angst ist genau das Thema! Angst vor dem, was wir nicht kennen. Angst vor dem Unbekannten. Angst vor etwas Neuem. Angst vor Veränderung. Angst, keinen Job mehr zu haben. Angst, vergessen zu werden. Angst zu verlieren. Angst etwas zu verlieren.“
„Und Angst, nicht mehr jeden Tag Fleisch essen zu können“, meinte ER etwas grimmig.
„Ja, das befürchten sie. Sie wollen auf keinen Fall, dass man ihnen das, was sie haben, wegnimmt. Deswegen reagieren sie bockig. Auch das macht wütend.
Was ist also der Gegenpol von Angst und Wut in Gegenwart und Vergangenheit? Oh, einen Augenblick, ich lese mal eben die Eilmeldungen vor. Oh, das sind aber viele:
Neokapp Süd:
Der Ölteppich der vor knapp zwanzig Tagen gesunkenen Ölbohrinsel im Golf von Neokapp Süd hat heute die Küste von Neokapp Süd erreicht bis hin zum Flussdelta des Xoxo-Flusses. Die bislang größte derartige Umweltkatastrophe der Erdgeschichte zieht sich bis in die Mangrovenwälder des Nagiladeltas. Verschiedene Gegenmaßnahmen zur Ausbreitung des Ölteppichs hatten versagt. Der Ölausfluss konnte immer noch nicht gestoppt werden.
Eisenreich Ost:
Ein Erdbeben der Stärke 6 erschütterte heute Morgen ein Gebiet in und um die Stadt Scheizna.
Straßen wurden zerstört, Häuser stürzten ein. 25 Menschen wurden getötet, viele werden noch vermisst, hunderte sind verletzt. Es herrscht der Notstand in der ganzen Stadt. Besonders besorgniserregend ist die Zunahme der Bodenvibrationen am Vulkan Tschuk im Süden der Stadt. Er war zuletzt vor 10.000 Jahren ausgebrochen. Seismische Messungen ergaben bis gestern keine Aktivitäten mehr in dessen Untergrund. Wissenschaftler stehen vor einem Rätsel, denn sie sagten Vulkanausbrüche viele Kilometer weiter im Norden voraus, da die seismischen Messungen dies dort angedeutet hatten.
Dank der hohen Dichte von Messstationen sind Vorhersagen von Ausbrüchen sogar bis auf 100 Meter Genauigkeit eingrenzbar. Ganz eindeutig ist heute: der Vulkan Tschuk schwillt an. Seine Oberfläche dehnt sich aus. Ein sicheres Zeichen, dass Magma aufsteigt. Eindeutige Hinweise sind auch die harmonischen Beben in einer Tiefe von etwa zwei bis vier Kilometern, die unmittelbar vor der Eruption auftreten. Diese wird nun in wenigen Stunden bis wenigen Tagen erwartet. Tausende Menschen sind auf der Flucht. Die Stadt Scheizna ist abgeriegelt, da die Gefahr eines wiederholten Erdbebens zu groß ist. Sie müssen um die Stadt herum gen Norden ziehen, da in allen anderen Richtungen hohe Berge ein zügiges Vorankommen verhindern. Straßen sind verstopft. Viele gehen mit dem, was sie greifen konnten und ihren Kindern zu Fuß. Hubschrauber sind unterwegs, um Menschen aus den Bergdörfern zu evakuieren. Nordvolk hat seine sofortige Hilfe angeboten und schickt Unterstützung durch die internationale Hilfsorganisation Helfende Hände. Rettungshubschrauber sind unterwegs. Hilfstransporte brauchen jedoch zwölf Stunden, ehe sie das Gebiet erreichen, wo sie eine sichere Auffangstation einrichten können.
Volk der Nagila:
Aufgrund der seit Monaten anhaltenden Dürre befinden sich viele Menschen auf der Flucht ins angrenzende Gebiet des schmalen Landstreifens von Neokapp West. Wegen der Wasserknappheit kam es schon mehrmals zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit dem Militär, die die Wasserpipelines durch das Land bewachen. Das Wasser wird von Neokapp West durch die Rohre bis zu den Feldern und Plantagen nördlich von Baghasama gepumpt. Der Verteilungsstreit schwelt schon seit der Ansiedelung der industriellen Landwirtschaft in diesem eh schon trockenen Gebiet. Aufgrund des verseuchten Grundwassers können die Menschen kein Wasser mehr aus ihren Brunnen zur Selbstversorgung fördern. Zudem ist der Grundwasserspiegel durch das Abpumpen des Wassers in vielen Gebieten gesunken, dass die Brunnen versiegt sind. In Neokapp Süd wurden Notlager eingerichtet, in denen menschenunwürdige Zustände herrschen. Mr. LIMO streitet sämtliche Anschuldigungen ab, seine Wasserpolitik hätte etwas mit dieser Massenflucht zu tun. Er meinte in einem kurzen Statement: ‚Jeder kann sich Wasser nehmen, wann und so viel er will. Wasser ist genug für alle da. Das erkennen Sie doch daran, wie viele Liter LIMO täglich für das Volk hergestellt werden. Allein damit können wir den Durst von ganz Gaia Nova löschen.‘
Nagila:
Der Bau der Flutmauern entlang der Nagila zum Schutz der Großstadt Tabu ist abgeschlossen. Gleichzeitig wurden Flussbegradigungen an den Ufern zu Eisenreich West wieder zurückgenommen, um dem Fluss seine natürlichen Ausweichmöglichkeiten zurückzugeben.
Ein ähnliches Projekt läuft zurzeit an den Ufern vom Volk der Nagila, Nordvolk und Caldera, so dass die immer häufigeren starken Überflutungen in Zukunft zum größten Teil abgefangen werden können. Zum Teil kann dem Fluss sein früheres mäandrierendes Bett zurückgegeben werden. Dies wird zu einer großen Entlastung der Hafenstädte führen.
Es zeigt sich einmal mehr, dass es nachhaltiger für Mensch und Finanzen ist, mit der Natur zu arbeiten, statt gegen sie.
Das Drachenreich entzieht sich bisher einer Teilnahme am nachhaltigen Uferschutzprogramm von Gaia Nova. Dort wäre vor allem wenigstens eine teilweise Rückgewinnung der ehemaligen Sümpfe von unschätzbarem Wert für das Uferschutzprogramm, da das Hochwasser gleich am Anfang seine Ausweichmöglichkeit hätte, bevor es weiter ins Landesinnere eindringen kann. An dieser Stelle wird in großem Umfang von Millionen Kleinbauern der Drachen Reis angebaut. Reis steht mit den Rindern im Methanausstoß auf gleicher Höhe. Reis wird in großem Stil von den Drachen nach Übersee exportiert.
Immerhin wurde im Auftrag der UGN eine nachhaltigere Form des Reisanbaus gefunden, die 25 Prozent des Methanausstoßes reduzieren hilft. Diese einfachen Maßnahmen lassen sich gut von allen umsetzen und wurden auch in anderen Reisanbau-Ländern wie beim Volk der Nagila und Eisenreich Ost und West angenommen.
Die UGN hatte umfangreiche Unterstützung zum Wiederaufbau der Mangrovenwälder am Flussdelta der Nagila zugesagt. Die Mangroven dienen als natürlicher Schutz vor Sturmfluten und Tsunamis. Durch die intensiv mit Chemikalien bewirtschaftete Garnelenzucht sind viele Teiche schon nach wenigen Jahren schwer verseucht und mussten aufgegeben werden. An diesen Stellen ist eine Wiederaufforstung leider kaum mehr möglich. Umweltschützer, Bauern, Fischer, Biologen arbeiten gemeinsam am Projekt Flussdelta.
Neokapp West lehnte ebenfalls eine Mitarbeit am Nagila-Uferprojekt ab. Sie verweisen auf die kürzeste Uferstrecke ihres Landes, die wohl keinen Einfluss auf die Hochwasser hätte. Sie planen jetzt eine Erneuerung ihrer Schutzdämme am Ufer und die Aufstockung ihrer Schutzmauern nach dem Modell Tabu.
Auch Mr. LIMO weigert sich vehement, seinen Anteil an diesem Projekt beizutragen, denn schließlich hatte er die Eindämmung des Flusses zum größten Teil forciert und mitfinanziert. Außerdem hatte er den Wächter des Südens gesprengt, der seit jeher eine natürliche Barriere für Extremhochwasser gewesen war und das Inland vor großem Schaden bewahrt hatte. Mr. LIMO meinte dazu nur kurz:
‚Das ist das dümmste Projekt, das ich je gesehen habe. Allein durch meine Hilfe konnte aus Gaia Nova solch eine wirtschaftliche Macht werden, die weltweit Anerkennung findet. Durch die Wirtschaftspolitik meines Vaters, die ich in noch größerem Stil weiterführe, haben wir Gaia Nova zu einem geeinten Handelsland auferstehen lassen. Wir haben Gaia Nova zu einer auf dem Weltmarkt anerkannten Großmacht und zu Wohlstand geführt. Ich habe die Nagila zu einer der größten Hauptverkehrsadern der ganzen Welt gemacht. Nur wegen ein paar Überschwemmungen braucht nicht gleich eine Hysterie auszubrechen.‘
Mister LIMO, der Staats- und Parteichef der Drachen sowie der Präsident von Neokapp West weigern sich vehement, das ernstzunehmende Thema Klimawandel überhaupt anzuerkennen. Sie ignorieren den mittlerweile unwiderlegbaren Tatbestand, dass es den Klimawandel gibt. Etwa 97 Prozent der weltweit anerkannten Klimawissenschaftler, Wissenschafts-Akademien aus 80 Ländern und viele wissenschaftliche Organisationen stimmen überein, dass der Mensch Hauptverursacher der bereits laufenden globalen Erwärmung ist. Diese stieg in den letzten dreißig Jahren gravierend an. Insbesondere durch die Verbrennungsprozesse fossiler Energieträger hat sich das Klima unserer Erde bereits heute stark verändert. Dies gilt als wissenschaftlich gesichert und ist gut belegt. Der Mensch beschleunigt durch sein exzessives Verhalten den natürlichen Vorgang der Erderwärmung um ein drastisches Maß, das dringend Gegenmaßnahmen erfordert, um die Folgen einigermaßen bewältigen zu können.
Neokapp West fordert von der UGN Unterstützung für die Beigabe von Leinöl und Calciumnitrat zum Futter bei Rindern, welches die Methanproduktion in deren Mägen um etwa ein Drittel reduzieren würde. Diese relativ einfache Maßnahme ergab eine wissenschaftliche Studie und wäre ein weiterer Weg zur Reduktion der Treibhausgase neben der bewussteren Reduktion des Fleischkonsums, vor allem von Rindfleisch. Hierzu der Präsident von Neokapp West: ‚Bei uns ist die Luft bestens. Bauern und Rinder sind gesund. Wenn das Problem hinter unseren Grenzen besteht und die sich wohler fühlen, wenn unsere Rinder weniger furzen, dann müssen sie es eben finanzieren.‘
Diese Aussage ist klar zu widerlegen: Eine weitere Studie zu Methanausdünstungen der Kühe hat ergeben, dass das Methan zu etwa 96 Prozent aus dem Mund entweicht, weil sie Wiederkäuer sind. Das Futter wird immer wieder hochbewegt und so das Methan mit ausgestoßen.“
„Grrrruaaah!“
ER ballte die Fäuste und schrie seine Wut frei heraus in den Wind.
Dann schüttelte er den Kopf und meinte:
„Skipper, das ist alles furchtbar. Ich weiß, warum ich keine Nachrichten mehr hören mag.“
„Durch Verschließen kannst du nichts ändern. Nur durch Hinsehen und sich Gedanken darüber machen, welche Lösungen es geben kann, die aus all den Krisen herausführen. Du siehst, selbst bei der UGN sind die Probleme angekommen und es entstehen gute Projekte. Der Satz ist doch bemerkenswert: Es zeigt sich einmal mehr, dass es nachhaltiger für Mensch und Finanzen ist, mit der Natur zu arbeiten, statt gegen sie. Das stimmt wirklich zuversichtlich!“
„Skipper. Es sind so viele Krisenherde in Gaia Nova. Dazu dieser größenwahnsinnige Irre, der durch seine Dummheit und Skrupellosigkeit immer weiter die Natur zerstört und unzählige Menschenleben gefährdet. Er hat mächtige Helferlein wie der Präsident von Neokapp West und der Staats- und Parteichef der Drachen, Drachenzähmer genannt. Die sprechen alle drei wie Kinder, wie unerzogene böse Kinder, mit dem gefährlichen Unterschied, dass zwei von ihnen über große Staaten regieren, und einer über ein ungeheuer manipulatives Wirtschaftsimperium herrscht. Die Drachen und Neokapp West sind Mr. LIMO Junior untertan, weil er die Macht hat, zu drohen. Er schreit am lautesten und manipuliert vor allem die Wirtschaft von Neokapp West und Süd ausschließlich zum Eigennutz. Die Drachen sind mittlerweile soweit, dass sie sich von ihm abkoppeln wollen. Sie kochen eh gern ihre eigene Reisnudelsuppe, spionieren aus und produzieren dann selbst. Aber so einfach ist das mittlerweile nicht mehr, das Loskoppeln. Genauso, wie sie in ganz Gaia Nova Land und Unternehmen übernommen haben, hat Mr. LIMO große Anteile in wirtschaftlich entscheidenden Unternehmen der Drachen investiert, als sie finanzielle Hilfe beim Aufbau ihrer Wirtschaft brauchten. Nun sitzt Mr. LIMO dick und fett mit im Drachennest.
Sie pöbeln sich derbe über Ticker an. Der Präsident von Neokapp West droht gerne mal mit seinen dicken Raketen und hebt und senkt Zölle im Sekundentakt. Was den Umgang mit der Natur angeht, sind sie sich insgeheim einig. Der Präsident von Neokapp West tut einen auf Naturliebhaber und lässt sich mit seinen Bulldoggen feiern, beutet aber in Neokapp Süd aus, ohne mit der Wimper zu zucken. Mr. Bulldogge wird er auch gern genannt. Wir haben im Radio vom brennenden Regenwald gehört. Das sind drei richtige Bremsklötze, Mr. Bulldogge, Mr. LIMO Junior und der Drachenzähmer. Besonders Mr. LIMO wirft sämtliche Anstrengungen immer wieder um Jahre zurück, weil er sämtliche Gesetze und Grenzen schlichtweg ignoriert. Er beutet Natur wie Mensch aus. Armut und Hunger sind in Neokapp Süd kaum in den Griff zu bekommen. Trotzdem fressen ihm alle aus seiner schmierigen Geldhand. Eklig! Wie sollen wir das nur bewältigen? Ich sehe kein Land“, stöhnte ER mit seinem berühmten P auf der Stirn.
„Wir waren auf der Demo für eine saubere Welt. Sieh genau hin! Wir sind nicht mehr allein. Es sind viele Boote unterwegs, die im Gleichklang rudern. Und bald schon werden es sogar echte Boote sein, wie ich gehört habe. Sehr gut, die Aktion BOOT. Ganz in meinem Sinne. Wir beide fahren im ersten Schiff von Blaue Perle mit. Läuft parallel zu den länderweiten Demos für GUTES LEBEN in ganz Gaia Nova. Dranbleiben, hartnäckig sein, extreme Schräglagen aufdecken, unter Druck setzen, rebellieren, kämpfen! Wie Blaue Perle. Sie tun nichts anderes als die Hintergründe zu durchwühlen, Licht auf dunkle Machenschaften zu werfen, damit alle es sehen können. Für unsere Natur gibt es keine faulen Kompromisse! Es steht mittlerweile zu viel auf dem Spiel.“
Da kramte ER in seiner Jackentasche, nahm den 4. Kieselstein hervor und legte ihn an die Mauer. Er blickte über die Dächer der Stadt und sagte entschlossen:
„Beschlossen und verkündet: Für unsere Natur! Für Gutes Leben für alle! Für Frau Fernblick! Das ist und bleibt die klare Richtung, in die wir steuern, Skipper!“
Er hielt seine Arme über den Kopf, dass die Hände sich berührten und die Arme einen Kreis bildeten. Er meinte:
„Alles ist mit allem verbunden!“
Skipper lachte:
„Gegen alle Widerstände, egal wie lange! Wir sind viele und werden jeden Augenblick mehr.
Wichtig ist, dass wir möglichst alle Menschen mitnehmen, egal wie schräg sie derzeit drauf sind. Angst ist der größte Widerstand überhaupt! Wir müssen das verstehen und sie ernst nehmen. All diese Ängste. Visionen geben. Vertrauen geben! Schritt für Schritt. Stunde für Stunde. Es geht nur in diese Richtung. Alle anderen Richtungen führen zum Untergang der Boote. Wir sind nicht allein, ER!“ Damit machte auch Skipper die Geste der Verbundenheit von allem mit allem.
„Alles klar. Das ist wahr. Du solltest Präsident werden, Skipper. Du bist der richtige Lenker! Vertrauen und Anpacken lenkt uns raus aus Angst und Wut. Die lassen wir hinter uns liegen. Wir lenken Richtung Zukunft, dorthin, wo Frau Fernblick gesund und glücklich ist. Und jetzt werde ich mir die Zukunft genauer ansehen.“
Skipper lachte:
„Wie das passt: morgen Früh lenke ich uns erst einmal zur LIMO-Anlage. Du wirst dich wundern. Ein hochinteressantes Kontrastprogramm.“
Skipper klingelte am nächsten Morgen und holte SIE und ER ab zur Besichtigung der LIMO-Produktionsstätte und Abfüllanlage am Rand von Kreuzleben in Olemo.
LIMO exportierte mittlerweile nach Übersee mit exorbitant steigenden Gewinnen. Trotz des zunehmenden Widerstandes der Bevölkerung in jedem Land, insbesondere in Nordvolk und Caldera, sowie Teilen von Neokapp West und Neokapp Süd, kaufte LIMO immer mehr Land in Gaia Nova, um es in Sachen LIMO zu bewirtschaften. Paradoxerweise kam LIMO mit seinen neuen Geschmacksrichtungen bei Leuten jeden Alters richtig gut an, in allen Ländern von Gaia Nova.
Die Anlage in Olemo war mit hohen Zäunen und fiesem, rasierklingenscharfem Stacheldraht gesichert, wie der Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses, inklusive Pförtner und Kameraüberwachung.
Besucher parkten außerhalb des Geländes und mussten Kameras und Handys beim Pförtner abgeben.
„Ich hatte eben das Gefühl, dass ich mich nackt ausziehen musste. Schutzlos, beklemmend ist das hier. Als gingen wir direkt in ein Gefängnis“, meinte SIE.
Als sie jedoch das Gebäude betraten, tat sich ihnen eine komplett unerwartet, völlig andere Welt auf. Hell, transparent, lichtdurchflutet, sachlich, aber freundlich, neu, sauber, angenehme Farben mit sehr angenehmem Licht. An den hohen Wänden hingen moderne Gemälde.
Sanfte Lala-Musik im Hintergrund.
„Willkommen im Hightech-Zeitalter von LIMO“, wurden sie von keinem anderen als einem fahrenden Roboter begrüßt. Sehr freundliche Stimme. Keine Beine, dafür eine schmale Säule, die in ein breiteres Rund zum Boden überging. Er hatte Arme und Hände mit Fingern, so etwas wie einen beweglichen winzigen Kopf mit zwei Weitwinkelkamera-Augen Modell Eule und zwei spitzen Mikrophon-Ohren an den Seiten Modell Elfe. Auf seinem Kopf befanden sich Sensoren, die wie ein Haarbüschel aussahen, ein Sensorpuschelband um seinen Hals und kurz über dem Boden. Mit zusätzlichen Hindernisdetektoren, einem 360°-Laser-Scanner und einer internen Karte der Anlage wusste er genau und in Echtzeit, wo er sich befand. Lidar nannte sich die neue Methode zur optischen Abstands- und Geschwindigkeitsmessung. Eine Scanmethode mit Lasertechnik. Auf diese Weise konnte der Roboter sämtliche Hindernisse wahrnehmen und entsprechend sofort reagieren. Das war die Voraussetzung für die Arbeit mit Menschen. Konnte ja nicht sein, dass man von einem Roboter umgefahren wurde.
Vor seiner Brust war ein Display mit einem freundlichen Smiley. Er hatte etwas von einem Fantasy-Roboter.
„Zunächst möchte ich mich vorstellen. Karlo mein Name, zu Ehren meines Ideenschöpfers Karl Kaiser, der auf tragische Weise bei der Entdeckung alter Gräber am Westrand des Roten Berges durch einen unbekannten Virus plötzlich ums Leben gekommen war. Sein umfangreiches Erbe übernahm sein einziger Sohn Leopold. Zu diesem Erbe gehört das erfolgreiche Projekt LIMO. Karl Kaiser hatte aus dem Nichts ein zukunftsweisendes Imperium aufgebaut. Sein Sohn Leopold ist auf dem Weg, dies noch bei Weitem zu übertreffen. LIMO ist mittlerweile in ganz Gaia Nova Marktführer unter den Limonaden mit einer Auswahl von zwanzig köstlichen LIMO-Sorten, eine köstlicher als die andere. Das ist der einzige Grund, weshalb ich bedaure, ein Robot zu sein, denn ich werde diese Köstlichkeiten nie genießen dürfen. Ansonsten bin ich sehr zufrieden mit meinem Dasein, denn was gibt es Schöneres als Algorithmen?“ Er kicherte. Skurril. Und fuhr fort:
„Ihr alle steht hier auf einem historischen Ort. An dieser Stelle begann LIMO.
Heute führe ich euch durch die heiligen Hallen von LIMO. Ich bin zwei Jahre alt und besitze mindestens den Grundwissensschatz eines Abiturienten, natürlich eines Einser-Kandidaten, spreche fünfzig Sprachen fließend, bin mehrfacher Doktor in den MINT Fächern, Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, bin bestinformiert, was Nachrichten auf der Welt angeht, bin ein Spezialist für die komplette Produktlinie von LIMO und kenne alles in- und auswendig. Das ist Fakt. Trotzdem heiße ich schlicht und ergreifend Karlo. Ich kenne weder Bescheidenheit noch Überheblichkeit. Ich bin ein Diener von LIMO, lerne KI-unterstützt ununterbrochen dazu, jedoch nur in dem Rahmen, den ich von meinem Programmierteam gesetzt bekomme. Zu meinen begehrtesten Eigenschaften gehören Geduld und Ausdauer. Ich wiederhole, so oft ihr möchtet, in der immer gleichen Freundlichkeit, wenn nötig auch zehn Stunden lang. Da bin ich ganz tiefenentspannt.“
Karlo kicherte wieder. Die Besuchergruppe lachte. Sie waren fünfundzwanzig Leute, davon drei Kinder, eins etwa sechs, zwei so 10 Jahre alt. Vier Teenies, die ganz unglücklich und missmutig dastanden und ständig in ihre Jacken- oder Hosentaschen griffen, doch da war nix. SmartPhones abgegeben. Wenn sie mal fünf Minuten niemanden antickern konnten, dann glich das einem Weltuntergang. Ticker war das angesagteste soziale Netzwerk derzeit.
Das Alter der Besucher ging hoch bis zu 70-80 Jahren, also breit gefächert. Ein Herr fuhr in einem elektrischen Rollstuhl. Barrierefreiheit dank Karlo, denn der musste ja auch stolperfrei durch die Anlage rollen können.
„Hier vorn ist mein Touch-Display. Dort könnt ihr mich manuell stoppen, wenn ich zu schnell bin, aber erfahrungsgemäß brauche ich nur ein paar Minuten, um mich auf meine neue Gruppe einzustellen. Ich wiederhole gern, was ich gesprochen habe, wie ich sagte, so oft ihr wollt. Hier könnt ihr alles auf dem Display sehen – den letzten Satz, das Thema des jetzigen Standortes, von einem Standort nach Wahl oder ganz von vorn. Auf Stopp und Halt reagiere ich auch sofort. Dies aber nur in Notfällen einsetzen. Ich positioniere mich möglichst so, dass ihr mich gut sehen und hören könnt. Meine Lautstärke werde ich permanent anpassen. Trotzdem nehmt euch zur Unterstützung bitte jeder einen leichten kabellosen Knochenleitungs-Kopfhörer, der mit mir verbunden ist. Ich warte, bis ihr alle einen in der Hand haltet. Dann erkläre ich weiter.“
Ein kleiner Lastenrobot namens Butler 1 mit einer Art Schüssel als Kopf kam angefahren. Aus dieser Schüssel griff sich jeder einen Kopfhörer.
„Ich kann erst fortfahren, wenn ich weiß, dass jeder einen Kopfhörer in der Hand hält.“
Ertappt erklärte sich eine Mutter:
„Ich dachte nur… Ich wollte das erstmal für meine Tochter einstellen.“
„Kinder begreifen mich meist schneller als Erwachsene. Sie kann es bestimmt“, sagte Karlo freundlich.
Die Mutter machte eine kleine Schnute und reichte ihrer Tochter den Kopfhörer. Die stand ganz stolz da und himmelte Karlo an. Karlo lud vermittelnd ihre Mutter ein:
„Die Dame hier vorn. Du bist meine Stewardess. Hier auf meinem Bildschirm siehst du, wie das Leichtgewicht von Kopfhörer aufgesetzt wird. Drei Knöpfe sind wichtig. Oben an und aus, darunter lauter +, darunter leiser -. Fertig.“
Karlo nickte der Stewardess zu und zeigte mit beiden Händen auf sie. Sie schaute sich die kurze Demo an und führte das Aufsetzen vor.
„Perfekt. Ich bin begeistert. Und deine Tochter war die Erste“, nickte Karlo der Mutter zu. Hatte Karlo gelächelt? Jedenfalls das Display zeigte ein Augenzwinkern.
Butler 1 kam nun mit einem Tablett voller Apfelspalten unterschiedlicher Äpfel zum Probieren.
Karlo schien sich über die staunenden Kommentare zu freuen:
„Die schmecken ja alle anders. Der ist nicht so lecker. Der ist etwas fad. Der ist sauer. Der ist süß. Der ist voll lecker. So saftig. Hm, lecker. Die sind alle schön knackig. Bissfest. Der ist viel zu sauer“, und so ging es eine Weile unter lautem Schmatzen.
„Direkt hier, an der Stelle dieser Empfangshalle war einst ein kleiner Bauernhof mit einer kleinen Mosterei im Keller. Karl Kaiser hatte hier viele Jahre lang mit seinen Großeltern einen Wagen vollgeladen mit Äpfeln ihrer Streuobstwiesen zum Keltern gebracht. Er erzählte von einem Ochsengespann, das den Wagen gezogen hatte. Jahrtausendelang trugen und zogen Rinder alles und jeden. Langsam, aber sicher. Rinder sind stark und gute Wanderer.“
„Karlo! Aber jetzt machen sie das doch nicht mehr, oder? Jetzt geben sie nur noch Milch“, meinte das Mädchen. Sie stand mit den beiden zehnjährigen direkt vor Karlo. Wenn er sich bewegte, bewegten sie sich wie angeklebt mit ihm mit.
„In anderen Ländern von Gaia Nova gibt es noch Ochsengespanne. Aber das ist ein anderes Thema. Ihr habt alle geschmeckt, dass viele unterschiedliche Apfelsorten in unserem Land wachsen. Die, die am besten schmecken, werden als ganze Frucht verkauft und verspeist. Die größte Menge wird zu Saft verarbeitet, der Rest zu Apfelmus oder zu Tiefkühlkuchen. In guten Erntejahren wie letztes Jahr, wurden pro Tag 600.000 Tonnen LKW- und Treckerladungen mit Äpfeln in unsere Silos gefüllt.“
Staunen. Karlo nickte. Wie würde er reagieren, wenn die Besucher nicht staunten?
„Karlo? Sind die Äpfel von den Großeltern von Herrn Kaiser auch mit dabei? Wo ist der Bauernhof?“, fragte das Mädchen und sah sich um und unter sich.
„Der Bauernhof existierte noch bis vor 30 Jahren genau an dieser Stelle…“
„Karlo? War hier, wo ich jetzt stehe, der Kuhstall?“
„Das weiß ich nicht. Ich habe keinen Zugriff auf die alten Karten. Ich werde nachfragen und später antworten. Karl Kaiser hatte schließlich die Idee, eine größere Saftpresse und Abfüllmaschine aufzubauen, um mehr Flaschen Saft lagern und verkaufen zu können. Also kaufte er den Bauernhof…“
„Karlo? Das ist aber komisch. Warum kauft er den Bauernhof und macht ihn dann kaputt?“, fragte das Mädchen. Die Teenies rollten die Augen und suchten das hundertste Mal ihre Taschen nach SmartPhones ab. Könnte ja sein. War aber nicht. Einer der Zehner antwortete:
„Ist doch logisch. Man kann ja nicht diese große Halle auf das Dach vom Bauernhof bauen. Fällt ja runter. Also muss der Platz erst freigeräumt werden. Dann kann was Neues drauf gebaut werden.“
„Vielleicht ist ja noch was vom Bauernhaus hier untendrunter“, überlegte der andere Zehner.
„Logisch! Das Plumpsklo!“, lachten die Teenies.
„Wir kommen vom Thema ab“, holte Karlo sie wieder zurück. „Also kaufte er den Bauernhof und ließ eine größere Anlage an dessen Stelle bauen.
Sie hatten eine neue Obstpresse eingerichtet, so dass aus der ganzen Region Privatpersonen und Bauern reife und faulfreie Früchte von ihren Haus- und Streuobstgärten anliefern konnten, um sie tagesfrisch pressen zu lassen oder sie wurden schonend mit den anderen Äpfeln gekeltert. Dann erhielten sie einen Gutschein und konnten in unserer Kelterei Saftflaschen vergünstigt einkaufen. Wie ihr hier seht, werden die mitgebrachten Äpfel auf dieser großen Waage gewogen.“
Karlo deutete auf ein Bild an der Wand, das sich in dem Moment in ein historisches Foto von damals wandelte.
Ein Zehner meldete sich. Karlo reagierte prompt und sagte:
„Hast du eine Frage?“
„Wie viel Saft kriegt man, wenn man ein Kilo Äpfel mitbringt?“
Zack, war der Finger des Mädchens oben und ohne abzuwarten fragte sie:
„Und wie viel Äpfel sind ein Kilo?“
Die Zehner wollten protestieren, aber sie mussten zugeben, dass sie selbst keine genaue Antwort wussten.
„Gute Fragen. Butler kommt schon angefahren.“
Tatsächlich kam Butler 1 und fuhr in die Mitte der Gruppe zu Karlo. Karlo griff in die Schale und hielt sicher pro Hand drei große Äpfel hoch.
„Diese sechs Äpfel ergeben ein Kilo. Können natürlich auch sieben kleinere sein oder eine andere Zusammensetzung.“
Butler 2 kam angerollt.
Karlo nickte den Teenies zu:
„In dieser Schale liegen noch sechs weitere Äpfel. Könnt ihr sie bitte hier auf den Tisch legen?“
Alle vier standen sofort bei dem Robot und wollten ihm höchstpersönlich die Äpfel aus den Händen nehmen. Drei Äpfel ließ sich Karlo tatsächlich abnehmen. Das sind immer jene Momente, wo jeder Erwachsene sich wünschte, jünger zu sein.
Die anderen drei Äpfel behielt Karlo mit einer eindeutigen Geste in seiner Hand, fuhr zum Tisch und positionierte einen Apfel sorgsam neben den anderen dreien auf dem Tisch. Der Apfel rollte etwas, er fasste von oben nach, schien zu fühlen, welches die stabilste Position war und ließ ihn los.
Gebannt beobachteten alle 25 Augenpaare das Prozedere, die Sanftheit, mit der er alle Bewegungen durchführte und wie präzise er arbeitete. Er reihte alle sechs Äpfel mit exakt dem gleichen Abstand zueinander nebeneinander an. Die Besucher schienen allesamt die Luft anzuhalten. Sie waren begeistert und klatschten.
„Ihr seid lustig. Vielen Dank“, antwortete er freundlich. Lächelte er?
Karlo blickte von den Teenies zur Schale von Butler 2, dessen Äpfel noch unberührt darin lagen. Voll vergessen.
Als einer der Teenies jetzt die Äpfel aus der Butler Schale nehmen wollte, meinte er:
„Oh, ich glaube, die Schale sitzt nicht fest.“
„Da ist wohl eine Schraube locker“, meinte ein patenter Mann, der mit einem Kennerblick sofort das Übel erkannte:
„Kreuzschlitz-Schraubendreher PH 0.“
Karlo hielt seinen Kopf etwas schief:
„Vielen Dank. Sehr richtig. Das Gewinde muss erneuert werden. Die 3D-Drucker sind gerade ausgelastet. Dieses kleine Ersatzteil muss warten. Ich werde es mit meinem Multitool sofort beheben. Leichte Handwerkerarbeiten über Tischhöhe gehören zu meinen Nebenaufgaben.“
Karlo stellte sich vor den Butler, neigte seinen Oberkörper etwas und positionierte seine Hand. Aus seinem Mittelfinger drehte sich ein Schraubendreher, Kreuzschlitz PH 0 heraus und arretierte. Er setze ihn an, drehte die Schraube gefühlvoll an und fuhr das Werkzeug wieder ein. Dann prüfte er den Sitz der Schale und nickte.
Atemlos hatten alle zugesehen. Wenn das so weiterging, kollabierte noch einer. Karlo blickte auf und sagte:
„Ich habe ein sehr aufmerksames Publikum. Vielen Dank.“
„Ich brauche auch einen Karlo zu Hause“, meinte SIE geradeheraus. Alle stimmten ihr zu.
„Wie cool! Aus dem Stinkefinger!“, kommentierte einer der Teenies.
„3D-Drucker sind hier auch im Einsatz?“, fragte ein Herr.
Der Rollstuhlfahrer meinte:
„Welch eine exponentielle Geschwindigkeit bei den technischen Entwicklungen. Ich bin begeistert! 3D-Druck. Ich habe gehört, sie drucken schon Organe, Niere, Leber, Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse, Dünndarm und sogar Bypässe mit Biotinte. Quasi lebendige Pflaster können sie auch auf diese Weise drucken. Sieht aus wie ein Packbandabroller. 3D-Bioprinting heißt das Drucken mit organischen Substanzen.“
„Bioprinting? Noch nie gehört. Was ist das schon wieder Neues?“, fragte eine Dame neben ihm.
Der Rollstuhlfahrer sagte zu ihr:
„Ich bin eindeutig zu früh geboren. Organe werden sie für mich nicht mehr drucken können. Aber meine Hüfte kriegen sie mit großer Wahrscheinlichkeit wieder hin. Mit einem maßgeschneiderten Hüftgelenk aus dem 3D-Druck. Der Drucker steht in Landfinder. Machen wir nächsten Monat. Aufnahmen von der Hüfte bis zum Fuß. Alle Fehlstellungen werden mit einberechnet. Ich brauche nicht einmal hinfliegen. Alle notwendigen Daten werden nach Landfinder übertragen. Sechs Wochen später kommt die OP und ich darf wieder gehen lernen. Sensationell! Und sie können mittlerweile jeden Patienten mit individuell zugeschnitten Prothesen versorgen. In Wunschfarben und Designs. Das macht es wirklich leichter, mit dem Handicap umzugehen.“
„Was ist Bioprinting? Ich stelle mir das merkwürdig vor“, meinte die Frau und schüttelte sich.
„Fehlt jetzt nur noch, dass die Anlage auch energieautark ist. Ich habe da unweit ein Windrad erspäht“, kommentierte eine der Zehner Mütter und der dazu passende Vater hakte ein:
„Und ich meine, es steht sogar mitten in einem Solarfeld. Habe ich das richtig gesehen? Gehört das zusammen?“
„Das sind viele Fragen auf einmal. Ich werde eine Frage nach der anderen beantworten. Wir haben fünf Minuten Vakanz, bevor wir zum nächsten Stopp fahren. Ich werde ein Auge auf die Zeit haben.“ Kicherte er?
„Zur ersten Frage. Sehr richtig. Wir haben die technischen Daten von allen Ersatzteilen unserer Anlage und können diese sehr schnell im 3D-Druck anfertigen lassen und defekte Teile ersetzen.
Es ist wirtschaftlicher als herkömmliche Produktionsmethoden. Zudem nehmen wir auch Aufträge von außen an, um Lücken der Unproduktivität zu füllen und das Gerät effektiv und wirtschaftlich zu nutzen. Ein computergesteuertes Auftragsbearbeitungssystem prüft, vergibt die Aufträge und schiebt den Auftrag ein, wenn der 3D-Drucker frei ist. Wir bieten auch einen Online-Konfigurator für gewünschte Bauteile, außerdem verschiedene Fertigungsverfahren, Materialien, Toleranzklassen und Oberflächenbehandlungen…“
„Entschuldigung. Welche Materialien werden hier für den Druck verwendet?“
„Diese Frage steht zwar an vierter Stelle, hat aber Bezug zu diesem Thema. Daher ziehe ich sie vor. Kunststoff und Metall. Wir besitzen je einen Drucker.
In jedem Fall wird zuerst die Form am Computer konstruiert. Es können aber auch bereits existierende Formen aufgenommen werden und in einen Bauplan gewandelt werden. Wie ihr hier an einem Beispiel sehen könnt, ist der 3D-Druck nichts anderes als ein dreidimensionales Druckverfahren, in dem spezielles Material Schicht für Schicht aufgebaut wird, um einen Gegenstand zu erzeugen. Daher heißt es auch Additive Fertigung.
LIMO besitzt natürlich Drucker der Königsklasse. Hier seht ihr hochpräzise additiv gefertigte Bauteile aus unterschiedlichen Metallen wie Stahl, Titan und Kupfer. Natürlich inklusive Nachbearbeitung. Durch pulverbasiertes Laserstrahlschmelzen, Sintern, oder sehr vereinfacht ausgedrückt durch Verschmelzen bei höheren Temperaturen, erhalten die Bauteile ihre nötige Festigkeit und können sofort eingesetzt werden. Das Neueste ist das Elektronenstrahlschmelzen, hat mir unser Forschungsnetz geflüstert.“
Zwinker-Smiley und Kichern.
„Wir versorgen auch unsere weiteren LIMO-Niederlassungen in Caldera, Eisenreich Ost, Volk der Nagila, Volk des Roten Berges, den dreien in Neokapp West, Landfinder, Steppenvolk und Grasland, und zwei in Neokapp Süd. Die Drachen übernehmen die Instandhaltung samt Ersatzteilen in Eigenregie. Nächsten Monat werden zwei Drucker in Landfinder installiert, die die Ersatzteile aller Neokapps abdecken werden. Mit den 3D-Druckern lassen sich neben den Ersatzteilen auch Kleinserien und Prototypen, also Versuchsmodelle oder Muster, bestens konstruieren und bauen. Am Bildschirm kann so lange gefeilt werden, bis es passt. Das ist ein großer Zeitvorteil und damit Kostenvorteil zu der bisherigen Anfertigung von Prototypen, beispielsweise im Spritzgussverfahren. Zudem sind der Geometrie keine Grenzen gesetzt. Es gibt nahezu unendliche Design- und Konstruktionsfreiheit.“
Während Karlo seinen Kurzvortrag hielt, wurden im Hintergrund anstelle einer weiteren Malerei an der Wand jeweils Beispiele zur Fertigung von Bauteilen mittels 3D-Druck gezeigt. Wahrscheinlich waren alle Gemälde hier im großen Eingangsbereich digital. Wirkten aber echt echt.
Alle sahen sich gebannt die neuartigen Herstellungsprozesse an.
„Je nach Bauteil können wir auch die FDM-Fertigungsverfahren nutzen. Keine Sorge, hier zeigen wir ein Beispiel: Von einer Spule wird schichtweise geschmolzener Kunststoff über eine Extrusionsdüse auf eine Bauplattform ultradünn aufgetragen. Das Werkstück wird so aufgebaut. Je nach Form bedarf es eventueller Stütz- oder Füllstrukturen, die dann von einer separaten Spule parallel aufgebaut werden. Nach der Austrocknung können diese sich in Wasser auflösen oder sind einfach abzutrennen. Bisweilen halten gedruckte Hochleistungskunststoffe länger als die Originale aus Metall. Das ist revolutionär. Science-Fiction wird hier wahr und die Polymerforschung ist noch nicht abgeschlossen.“
Alle staunten. Karlo nickte nun der Bioprinting-Frage zu:
„Beim Verfahren des Bioprinting werden ebenfalls Objekte entsprechend der zuvor programmierten äußeren Form dreidimensional aufgebaut. Schicht für Schicht mit Biotinte. Biotinte enthält zum einen Biomaterialien wie Gelatine, Heparin oder Hyaluronsäure, zum anderen ein wässriges Nährmedium und die lebenden Zellen. Fettgewebe bis Knorpel können imitiert werden, indem die Biomoleküle entsprechend chemisch modifiziert werden. Stammzellen aus Fettgewebe können so umprogrammiert werden, dass sie Herzmuskel und Endothelzellen, die die Innenwände von Blutgefäßen bilden, erzeugen.
Eines noch: In einem Werk in Landfinder forschen wir an Xonographie. Seht hier:“
Er deutete auf den kleinen Animationsfilm über ihm:
„Drucken in einem Aquarium, sagen die Menschen. Darin befindet sich eine transparente Flüssigkeit, ein Harz und wie aus dem Nichts materialisiert es sich dort, wo Lichtstrahlen mit zwei verschiedenen Wellenlängen sich kreuzen. Ein Film wird auf einen Querschnitt wie eine Art Vorhang projiziert und bewegt sich langsam durch das Aquarium, indem dieses sich vom Projektor wegbewegt. In dieser Schicht baut sich das Werkstück durch das Licht langsam auf. So können nicht nur Kunststoffteile rasch angefertigt werden, sondern auch äußerst filigrane, weiche Strukturen zum Bioprinting. Wie ich eben schon sagte, Science-Fiction wird bei uns wahr.
Nun habt ihr einen allgemeinen Eindruck über den derzeitigen Stand der Forschung. Wir haben noch 30 Sekunden.“
Eine Frau bemerkte begeistert:
„An künstlich organischen Organen können natürlich hervorragend Arzneimittel getestet werden. Keine Probanden, kein Leid. So kann man prüfen, ob ein Medikament geeignet ist, ohne Risiken und Nebenwirkungen. Zudem eignen sich Gewebe- und Krankheitsmodelle perfekt für die Forschung. Und diese patientenspezifischen Implantate, welch eine tolle Entwicklung an hilfreichen Möglichkeiten. Fantastisch!“
„LIMO nutzt auch den 3D-Druck zum Bau ihrer Kioske. Sind natürlich große Drucker, die Materialien wie Betonmischungen für die Mauern und diverse Kunststoffe für die Isolierungsschichten nutzen. Dauert 24 Stunden, dann ist das Grundgerüst eines Kiosks fertig. Sie stehen schon in ganz Gaia Nova und…“
Karlo unterbrach freundlich:
„Sehr richtig. Du weißt sehr gut Bescheid. Wir kommen zu sehr vom Thema ab. Jetzt zur allerersten Frage, schlaues Mädchen. Du hast gefragt: Wie viel Saft kriegt man denn, wenn man ein Kilo Äpfel mitbringt? Wir haben hier zwei Kilo Äpfel liegen. Warum? Butler 1, komm zu mir.“
Butler 1 fuhr zu Karlo, der eine Flasche Apfelsaft aus der Schale nahm.
„Etwa zwei Kilo Äpfel passen in eine 1 Liter Glasflasche.“
Karlo stellte die Flasche neben die perfekt aufgereihten Äpfel und setzte sich langsam weiter in Bewegung.
„Wir haben die fünf Minuten überschritten. Doch wir haben spätere Themen bereits jetzt erörtert. Ich berechne neu… So passt es wieder. Wer weiß, bei welchem Thema wir vor unserem Hightech-Exkurs waren?“ Karlo nickte dem kleinen Mädchen zu. Das erklärte sehr wichtig:
„Erst war hier ein Bauernhof, wo sie Äpfel im Keller zu Saft gepresst haben. Den hat der Herr Kaiser, von dem du den Namen hast, gekauft. Er hat eine große Halle darüber gebaut, um die ganzen Äpfel von allen Nachbarn mitzupressen und zu verkaufen.“
Karlo nickte ihr freundlich zu. Lächelte er? Jedenfalls das Display.
„Das ist richtig. Jene Abfüllung war schon bald so erfolgreich, dass er an dieser Stelle eine noch größere Anlage bauen ließ. Jetzt hatte er die bahnbrechende Idee einer einzigartigen LIMO-Linie mit Äpfeln aus dem Norden und Orangen und Zitronen aus dem Süden. So entstand dieses Prachtstück von neuester Abfüll- und Verpackungstechnik, natürlich mit zertifizierten Managementsystemen für Qualität und Umwelt. Es wurde vor acht Jahren in Betrieb genommen…“
„Karlo?“
„Nun lass Karlo doch mal erzählen“, meckerte ein Zehner. Seine Mutter hielt ihn nicht zurück und sah unbeteiligt die Wand an.
„Ich will nur noch wissen, ob hier untendrunter auch noch Reste von dem anderen Haus sind?“
„Das weiß ich nicht. Ich habe keinen Zugriff auf die alten Karten. Ich werde nachfragen und später antworten. Wir wollen jetzt ganz von vorn anfangen. Wie, glaubt ihr schlauen Kinder, kommen die Äpfel an den Baum?“
Karlo drehte seinen Kopf tatsächlich in die Richtung aller drei Kinder. Zu allen anderen, auch den Teenies, gerichtet, legte er seinen Zeigefinger an die Stelle des Kopfes, wo normalerweise ein Mund sein könnte.
Die drei grübelten.
„Apfelbäume haben eben Äpfel. Die wachsen da schon immer“, meinte einer der Zehner.
„Das ist richtig, doch manchmal gibt es Zeiten, da sind die Apfelbäume voller Äpfel und in manchen Jahren hängen nur ganz wenige am Baum“, meinte Karlo.
Ein Teenie hielt es nicht aus und brabbelte:
„Frost in der Blüte, Trockenheit, oder: letztes Jahr super viele Äpfel, Folge: dieses Jahr nicht so üppig.“
Karlo drehte sich zu ihm um und sagte freundlich:
„Das ist richtig. Das beantwortet aber nicht ganz meine Frage. Wie kommen die Äpfel an den Baum? Das Wort hast du schon gesagt. Du hattest es schon in der Schule, wenn eure Schule nach Lehrplan arbeitet“, meinte Karlo. Hatte er gerade gezwinkert?
Der Junge wurde feuerrot. Die anderen drei kicherten und eine von ihnen meinte pfiffig:
„Die Bienen. Ohne die Bienen keine Äpfel!“
„Nicht nur Äpfel“, stupste ihr Nachbar sie keck an. Kichern.
„Ihr macht richtig Spaß. Das ist richtig. Die Bienen. Sie bestäuben die unzähligen Apfelblüten. Liebe Frau Stewardess. Kannst du bitte diesen Knopf drücken? Ich hoffe, es ist dir recht“, fragte Karlo. Er hatte so etwas Charmantes, Wohlerzogenes.
Natürlich übernahm sie das Amt gern.
Hinter Karlo fuhr aus einem zwei Meter langen Kasten eine flexible Displayfolie aus, nach oben und stoppte.
Stewardess drückte auf Karlos Kopfnicken hin erneut. Ein Bild erschien.
Alle staunten. Welch eine Technik. Karlo kommentierte:
„So sah es früher hier aus. Und es gibt sicher noch einige dieser heimeligen Orte in unserem Land und in Gaia Nova. Wir sehen eine alte Streuobstwiese mit üppig beladenen roten Äpfeln. So stellt man sich das Paradies vor. Wie kommen nun die Äpfel vom Baum herunter, schlaues Mädchen?“
Karlo blickte Richtung Mädchen. Sie antwortete ernst:
„Schütteln oder was hochschmeißen.“
„Das ist richtig. So wurde es früher gehandhabt“, sagte Karlo und fuhr ein Stück weiter, gefolgt von den drei Kindern und den Teens. Beim Stoppen wären sie beinahe alle aufgelaufen.
„Ich möchte jetzt Stewardess sein!“, rief einer der Zehner. Alle lachten.
„Ihr seid eine lustige Truppe“, meinte Karlo. „Ist es dir recht, wenn dieser nette Steward die Aufgabe übernimmt?“, fragte er charmant die erste Stewardess.
Ach, natürlich!
Stolz wie Bolle drückte der neue Steward mit seinem spitzen Zeigefinger Karlos Touch-Pad.
Ein weiteres Display entrollte sich und Karlo deutete mit seinem noch spitzeren Zeigefinger zum Display. Seine Hände waren übrigens grün, der Rest weiß.
Dort sahen sie jetzt ein kleines Filmchen, wie ein Mann mit einem ultralangen Stock zwischen die Äste eines Apfelbaumes stach und kräftig rüttelte, dass es nur so rieselte. Mit dem Laserpointer aus seinem rechten Zeigefinger zeigte Karlo nun auf die Äpfel am Boden:
„Seht. Und nun kommt die ganze Familie und liest die Äpfel auf und sammelt sie in Weidenkörben. Jetzt zeige ich euch die nächste Stufe.“
Die Kinder und die Teenies waren mega beeindruckt. Nicht nur Multitool, sondern auch Laserpointer aus dem Zeigefinger, das würden sie auch gern können. Karlo rollte weiter, alle im Entenmarsch hinterher. Skipper, ER und SIE bildeten stets das Schlusslicht. ER sah sich alles genaustens an. Er hatte nicht gewusst, dass die Technik schon so weit fortgeschritten war. Mr. LIMO hatte ein paralleles digitales Technikuniversum der Spitzenklasse aufgebaut. Sie schienen dem Rest von Gaia Nova Jahre voraus. Dem war auch so. Kein Wunder also, dass sie dies alles so streng bewachten. Einbrechen konnte hier sicher keiner. Sicher hatten sie auch entsprechende digitale Mauern um ihre hochsensible Anlage gelegt. Das wäre sonst fatal, so, wie hier alles miteinander vernetzt war.
Additive Fertigung, diese megaechten Malerei-Displays, diese flexiblen Displays. Wie die Produktions- und Abfüllanlage erst aussah? Die funktionierten wahrscheinlich komplett autonom. Dieser intelligente Führungsrobot, der sich auch noch irgendwie auf die bunte Truppe einstellen konnte. Diese Knochenleitungs-Kopfhörer. Offensichtlich produzierten sie auch noch ihre eigene Energie und druckten ihre Ersatzteile selbst. Es tat sich eine neue Kluft auf zwischen denen, die im digitalen Highend lebten, denen, die in den digitalen Kinderschuhen steckten, denen, die im analogen Zeitalter festhingen und denen, die nicht weitergehen wollten.
ER stöhnte mit einem Mal:
„Wie wichtig es ist, da nicht den Anschluss zu verlieren, sondern dran zu bleiben. Ingenieure sind ohne Ende gefragt. Alles muss digitalisiert werden. Krankenhäuser, Schulen, Infrastruktur, sämtliche Unternehmen bis hin zu einem schnellen Internet und gutem Empfang selbst in der Pampa. Skipper. Das geschieht so unfassbar schnell, dass einem fast schwindelig wird. Ich komme da gar nicht mehr hinterher.“
Ein Teenie kommentierte:
„Die Regierung hängt so derbe hinterher. Die Drachen haben das derbe drauf. In der Schule, ich sag dir, wir sind so schlecht ausgerüstet. Wenn wir uns nicht privat so derbe reinhängen würden, übers Internet, soziale Medien, Tutorials und so, würde uns der Rest von Gaia Nova krass überholen. Bald können wir euch was beibringen. Ihr aus dem letzten Jahrtausend denkt zu langsam.“
ER war sprachlos. Ihr denkt zu langsam! Letztes Jahrtausend. Welch eine Frechheit. Oder war da ein Funken Wahrheit dran? Skipper grinste. ER flüsterte ihm jetzt zu. Er hatte gerade keinen Bock auf einen weiteren Kommentar von einem hinter den Ohren noch grünen Besserwisser, der tatsächlich in puncto digitaler Welt wohl besser Bescheid wusste.
„Weißt du, Skipper, auch wenn ich meine gerade gewonnene Erkenntnis erst einmal sacken lassen muss, gebe ich zu, dass er recht hat. Sie haben uns überholt, die Jüngeren.
Die junge Generation wächst ganz selbstverständlich in diesem Geflecht neuronaler Netzwerke und so auf. Sie sind die neuen Macher. Dennoch können wir, die wir vom langsameren analogen Zeitalter herkommen und die Gefahren und Grenzen menschlichen Schaffens kennen, ihnen die Grenzen mittels Werten mitgeben. Wir sind es, die Gesetze und ethische Richtlinien beschließen und erlassen müssen, um sie vor sich selbst und anderen zu schützen. Ihnen natürlich erklären, warum. Das ist es, was wir für sie tun können. Bei der digitalen Transformation gilt es, genau diese Altersspannen mit ihren unterschiedlichen Weltanschauungen und Denkweisen an die Hand zu nehmen. Dann, so denke ich, kann diese Hightech-Entwicklung tatsächlich einen guten Nutzen für alle haben.
Wir sind die Brücke vom einen zum anderen Zeitalter.
Und – wir müssen endlich unseren Müll selbst aufräumen, sonst nehmen sie uns nicht ernst!“
Skipper lächelte und nickte.
Der Steward waltete gerade seines Amtes. Sein Kumpel und das Mädchen standen schon in den Startlöchern. Dieses Mal entrollte kein Display, sondern aus der modernen Kunst an der Wand wurde wieder ein Bildschirm mit dem Video einer großen Apfelplantage. Karlo deutete mit seinem magischen Zeigefinger darauf und erklärte:
„Hier ist die nächste größere Plantage, in die Karl Kaiser professionelle Landwirte mit einbezogen hatte. Sie setzten Maschinen ein, die die Bäume kurz anrüttelten. Andere Maschinen fegten die Äpfel unter den Bäumen zusammen. Die wurden dann von einer Walze aufgenommen, in einen Anhänger befördert und schließlich in Silos dieser Kelterei abgeladen. Das sind schon deutlich mehr Äpfel.
Und so läuft es heute“, sagte er, während es zu einem Wettrennen zwischen den drei Jüngsten kam. Damit hatte Karlo wohl nicht gerechnet, also drückte er jetzt selbst:
„Hier seht ihr eine Plantage von 600.000 Bäumen. Alle haben jetzt eine gute Größe und sind so gepflanzt, dass spezielle…“
„Entschuldige Karlo, aber die Kinder wollten gern drücken“, meinte die Mutter.
Es dauerte eine Sekunde, als würde Karlo nachdenken, denn er hielt den Kopf schief. Dann antwortete er:
„Stimmt. Das habe ich übersehen. Ich berechne neu. Da war die Stewardess, dann der kleine Steward. Aber mehrere gleichzeitig kann ich nicht auswählen. Immer nur eine Person zurzeit, die mein Touchpad bedient. Damit es gerecht zugeht, werden wir nach jedem Stopp wechseln. Einverstanden?“
Sowieso, natürlich.
„Ich beginne noch einmal. Hier seht ihr eine Plantage von 600.000 Bäumen. Alle haben jetzt eine gute Größe und sind so gepflanzt, dass spezielle Erntemaschinen gut durch die Reihen fahren können. Hier ein Hydraulikschüttler, der die Äpfel gleich auffängt und sie über ein Förderband auf einen parallel fahrenden Laster befördert. Mit dieser Technik brauchen sie für vier Bäume nur eine Minute.“
Karlo wartete und das Staunen folgte. Er nickte:
„Binnen 24 Stunden werden die Äpfel weiterverarbeitet. Allein 600.000 t Äpfel pro Tag werden hier angeliefert. Wir hier im Norden haben uns auf die Apfel-LIMO spezialisiert. Immer wieder wird nach neuen, widerstandsfähigeren Sorten gesucht. Das Wetter ändert sich, also müssen wir mit Pflanzen kontern, die mit dem neuen Wetter umgehen können. Leopold Kaiser, der Sohn von Karl Kaiser, plant stets in die Zukunft. Ihr könnt euch bei der Besichtigung der Anlage gleich selbst davon überzeugen.“
„Werden die Äpfel gespritzt?“, kam eine Zwischenfrage.
Karlo kannte prompt die Antwort:
„Bei einer Plantage in dieser Größe, die den Durst von vielen Menschen löscht und nicht nur den Durst einer einzelnen Familie wie am Anfang, ist es unerlässlich, die Äpfel vor Krankheiten zu schützen. Außerdem sollen keine Konkurrenzpflanzen zu ihren Füßen wachsen. Schließlich kommen die Äpfel als erstes in eine Waschanlage, wo sie ordentlich saubergewaschen werden.“
„Und die Bienen? Wenn gespritzt wird, das mögen die Bienen doch auch nicht. Außerdem was sollen die Bienen essen, wenn die Apfelblüten verblüht und alle anderen Blüten zu ihren Füßen weggespritzt sind?“, kam die nächste Zwischenfrage.
Karlo antwortete gelassen:
„Wir haben 600 Bienenvölker in der Plantage verteilt und es geht ihnen gut mit unseren Apfelbäumen. Manche bleiben, manche werden an andere Orte mit Blühpflanzen verliehen. Bei den Bienen gibt es stärkere Völker und weniger starke. Es wird immer wieder getestet, welche widerstandsfähiger sind.“
„Werden die Bienenvölker nicht immer weniger? Überall spricht man vom Bienensterben“, fragte der Rollstuhlfahrer.
„Wir kennen das Problem des Bienensterbens nicht, denn wir haben hier keine Wildbienen auf unseren Plantagen, nur unsere eigenen Honigbienenvölker. Aber hier in Nordvolk gibt es etwa 550 verschiedene Sorten von Wildbienen. Weltweit sogar 30.000.“
„Ein berühmter Physiker sagte schon vor fast 70 Jahren:
Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben. Keine Bienen mehr, keine Bestäubung mehr, keine Pflanzen mehr, keine Tiere mehr, keine Menschen mehr. Bei den Drachen sind sie schon von Hand am Bepinseln, natürlich für einen Hungerlohn. Da ging die Bienenpopulation um 85 Prozent zurück. Bei uns stehen die Hälfte der Wildbienen auf der Roten Liste und wenn wir solch einen Wahnsinn wie diese Sprüherei nicht ändern, dann wird ein Drittel in den nächsten Jahren aussterben“, kommentierte der Rollstuhlfahrer skeptisch.
„Du bist doch intelligent, Karlo. Was sagst du zu Streuobstwiesen?“, fragte ER spontan.
„Streuobstwiesen gehören zu den artenreichsten Biotopen von Gaia Nova mit bis zu 5.000 verschiedenen Tier- und Pflanzenarten.“
„Wären Streuobstwiesen nicht nachhaltiger als gespritzte Obstplantagen? Oder Obstplantagen mit Blühstreifen?“, fragte der Rollstuhlfahrer nach.
„Streuobstwiesen gehören zu den artenreichsten Biotopen…“ Plötzlich hielt Karlo inne, sagte nichts mehr, rührte sich nicht und blinkte nur.
„Karlo! Bist du kaputt? Müssen wir zu einem Robo-Doc?“, fragte ein Teenie besorgt. Alle Youngsters standen vor ihm.
„Ah! Seht! Da blinkt der grüne Knopf. Du musst ihn drücken, Steward!“, meinte ein Teenie.
Rasch drückte der Steward. Tatsächlich, Karlo antwortete freundlich und alle atmeten erleichtert auf:
„Wir kommen weit vom Thema ab. Ich spule zurück und berechne neu. Es ist richtig. Auf unseren Orangen-Plantagen bei den Drachen wird manuell bestäubt. Doch wir hier im Norden müssen dies nicht. Ganz sicher ist, dass bei vielen Pflanzen der Ertrag durch die direkte Bienenbestäubung deutlich höher ausfällt. Allein vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus gesehen ist es uns ein großes Anliegen, die Bienen bei bester Gesundheit zu erhalten. Es handelt sich hier um Honigbienen, die dank hervorragender Imker nicht vom Aussterben bedroht sind. Sie plagen sich immer mal mit einer Milbenkrankheit. Da wir die Honigbienenstöcke haben, brauchen wir uns um die Wildbienen keine Gedanken zu machen. Nun zurück zu unserem Thema Apfelernte. Es ist doch schon staunenswert, in welch kurzer Zeit wir durch eine intelligente Wirtschaft den Ernteumfang auf 600.000 t Äpfel steigern konnten.
Zum nächsten Stopp“, sagte Karlo und fuhr weiter. Er stoppte, blickte das Mädchen an, nickte und sie balancierte ihren Zeigefinger auf das Touchpad. Das Display hinter ihnen rollte sich wieder ein.
„Das war der falsche Knopf!“, meinte einer der Zehner und drückte wieder auf den Knopf, dass sich das Display wieder entrollte.
„Lass das! Ich bin dran!“, meckerte das Mädchen und schupste ihn weg.
„Wann sehen wir die Anlage?“, wollte einer der Teenies wissen.
„Ich spüre Ungeduld. Ich habe gelernt, immer Rücksicht auf die jüngsten und ältesten Teilnehmer zu nehmen und mein Tempo diesen anzupassen. Alle anderen brauchen nur ein wenig Geduld. Wir werden zum Schluss alles zu aller Zufriedenheit gesehen haben. Wir haben jetzt die Äpfel geerntet und die werden jetzt…“ Karlo gab dem Mädchen ein Zeichen und sie drückte auf den nächsten Knopf, sah die Zehner an, die nickten und sie war zufrieden. Display rollte sich auf. Man konnte jedem Erwachsenen in der Gruppe ansehen, dass sie so gern jünger wären. Spektakulär, dieses Display. Ohne Bild war es transparent. Mit Bild oder Film nicht mehr.
„Das Obst wird in einer großen Waschanlage sanft gewaschen. An dieser Stelle ist ein letztes Mal die Hilfe von Mitarbeitern gefragt, die nach faulen Äpfeln suchen und diese sofort aussortieren. Danach läuft alles vollautomatisch und computergesteuert. Bitte folgt mir zum nächsten Stopp!“
Rattenschwanz hinterher. Der Zehner positionierte sich. Es klappte. Karlo nickte und das fünfte Flex-Display entrollte sich.
„Die Äpfel werden nun zerkleinert, zur Maische. Jetzt bitte auf den grünen Knopf drücken.“
Der Zehner drückte. Doch kein weiteres Flex-Display entrollte sich, sondern die komplette riesige Wand links wurde zu einer transparenten Fensterfront. Sie hatten nun einen freien Blick auf die Produktion.
Wahnsinn! Keiner bewegte sich. Alle staunten. Die ganze Wand war ein einziges Display und ein Fenster!
„Geht ruhig und staunt. Hier vorn seht ihr die riesigen, langsam rotierenden Pressen. Sie pressen unter hohem Druck die Flüssigkeit aus der Maische. Der Trester bleibt übrig, der ausgepresste Apfelrest. Er geht in die Pektin Herstellung, dient als Futtermittel oder zur Herstellung von Obstbränden.“
„Da ist ja gar kein Mensch! Oder haben die alle Pause?“, stellte einer der Teenies sofort fest. Sie schauten von oben auf eine gewaltige Anlage aus metallenen Röhren, die sich hundertmal in alle Richtungen zu winden schienen, von einem Kessel oder Tank oder Maschine in die nächste. Alles neu, hell und blitzeblank geputzt, weißer Boden, megasauber, polierter Edelstahl.
„Sehr richtig. Wir brauchen nur eine Person, die die computergesteuerte Anlage überwacht. Seht, dort hinten an der Säule mit den Bildschirmen steht der Mann mit dem Häubchen.“
„Häubchen“, lachten die Teenies.
Karlo hielt seinen grünen Zeigefinger in die Luft:
„Oberste Hygienestandards. Es handelt sich um Nahrungsmittel, die durch nichts kontaminiert werden dürfen. Wir werden gleich als Abschluss hinter dem Kühltunnel durch die Abfüllhalle gehen und uns auch entsprechend präparieren. Aber das ist ein anderes Thema.“
Dann zeigte er zur Anlage hinunter:
„Dort kommt der Saft über Röhren in Puffertanks. Wichtig ist die schonende Verarbeitung. Der Saft wird permanent im Labor überprüft. Seht, der Chemiker nimmt eine Probe.“
Ein Mann in weißem Laborkittel mit Häubchen füllte gerade aus einem Hahn an einem riesigen Kessel etwas Saft ab. Das war natürlich ein Fest für die Teenies, die sich etwas von Urinprobe zuflüsterten. Die Zehner bekamen das mit und kicherten sich einen. Das kleine Mädchen meckerte sie aus:
„Ihr seid doof. Das ist doch Apfelsaft. So viel Pipi auf einmal geht doch gar nicht!“
Alle mussten kichern. Ein paar verzogen aber die Nase.
Karlo lies das unkommentiert und fuhr fort:
„Den Apfelsaft gibt es naturtrüb oder klar….“
Die Teenies und die Zehner konnten sich kaum halten. Die beiden Mütter wiesen ihre Zehner zurecht. Die deuteten auf die Teenies. Karlo meinte jetzt:
„Ihr seid eine lustige Truppe. Der klare Saft entsteht durch Filteranlagen und Zentrifugen dort drüben. Zur Klärung wurde bisher Gelatine zugesetzt. Aufgrund der großen Nachfrage der Vegetarier…“ Das Mädchen unterbrach mit ihrem Zeigefinger auf den Stopp-Knopf des Displays und meinte:
„Seht ihr! Vegetarier trinken den Apfelsaft. Deswegen stimmt das gar nicht, was ihr da sagt, was das sein soll. Ihr seid echt dumm!“
Dann drückte sie zufrieden auf weiter:
„Aufgrund der großen Nachfrage der Vegetarier hatte Leopold Kaiser sofort reagiert und diese durch Erbsenprotein ersetzt. In dem Bereich weiter rechts entsteht durch Verdichten des Saftes Apfelsaftkonzentrat. Die Vorteile von Apfelsaftkonzentrat sind: die Aromen bleiben erhalten, es ist lange haltbar und gut zu transportieren. Bitte folgt mir über den Fahrstuhl nach unten zur Saftprobe.“
Saftprobe. Das war jetzt genau das Richtige für eine kleine Pause. Trotz des Prustens der Teenies.
Karlo vor, Mädchen, Zehner, Teenies, Rollstuhlfahrer und alle anderen hinterher.
Unten versperrte eine Tür das Durchkommen zur Halle. Zwei Butler kamen mit Häubchen in den Schalen angerollt. Karlo zog jeweils eine Schutzhaube heraus und wies an:
„Diese weißen Schutzhauben sind für den Kopf. Die blauen sind für die Füße.“
Alle folgten artig.
So ein Ärger, kein Smartphone weit und breit.
Karlo fuhr vor, alle schlurften hinterher. Karlo öffnete die Zugangstür per verdecktem Zugangscode über sein Touchpad und fuhr in die Halle. Genau zwischen zwei grünen LED-Markierungen entlang. Es war nicht laut, wie erwartet. Dumpfe metallische Geräusche, ein Dauersummen, ein Fließen und sanftes Zischen.
Die Kinder fanden es lustig und die Teenies bedauerten wohl zum tausendsten Mal, dass sie kein Handy zur Hand hatten. Wie sollten sie das alles den anderen erzählen? Dieser coole Robot, diese Schutzhauben auf den Köpfen und über den Schuhen. Die Saftprobe. Wie sie alle aussahen! Und kein Ticker in der Nähe! Ein Drama.
Die Saftprobe war einfach köstlich. Der Apfelsaft übernahm alle Sinne. Alle waren begeistert. „Der Apfelsaft schmeckt in jeder Region anders“, fügte Karlo noch ein.
Die jüngere Liga bevorzugte ausschließlich den klaren Saft, alle anderen den naturtrüben. Ein Butler reichte salzige Cracker dazu. Das passte perfekt.
„Plastikbecher“, bemerkte der Rollstuhlfahrer kritisch. Karlo ging nicht darauf ein.
Alle schlufften in bewährter Reihenfolge hinter Karlo zwischen der grünen LED-Markierung durch die Anlage. Karlo hatte eindringlichst darauf hingewiesen, diesen Weg nicht eigenmächtig zu verlassen. Jeder Ort der Halle wäre kameraüberwacht und es gäbe sofort einen Alarm, wenn einer der Gruppe sich weiter entfernte. ER erinnerte sich an die Szene beim Brizzel-Kiosk. Gleiches Prinzip. Gleicher Inhaber am Ende eines Firmengeflechts.
Karlo stoppte kurz und zeigte mit seinen grünen Händen Richtung Fußboden:
„Ich weise noch auf unseren intelligenten Fußboden hin.“
Er schien belustigt etwas zu warten. Er wusste wohl, dass alle Besucher fast das gleiche dachten, während sie ihre Füße abwechselnd unschlüssig hoben: „Was? Intelligent? Und ich laufe darüber? Mache ich etwas kaputt? Soll ich leichter gehen? Soll ich größere Schritte machen? Gibt es Zeichen, wo ich gehen soll?“
Karlo unterbrach diese Gedanken und beruhigte sie rasch, dass sie ihre Füße wieder entspannt aufsetzten:
„Keine Panik, alles gut. Ihr könnt ganz unbeschwert über unseren intelligenten Fußboden gehen. Schließlich stehen auch schwere Maschinen, Tanks, Regale und anderes in unseren Hallen. Ich fahre schließlich auch und ich bin noch ein Leichtgewicht gegenüber so manchen Robotkollegen, die schwere Lasten transportieren.
Intelligente Wägezellen können wiegen, egal was oder wen und wissen genau, wenn es Menschen sind, die hier gehen. Es ist ein Sicherheitsboden, der sofort dafür sorgt, dass Maschinen abschalten, sobald ein Mensch zu nah kommt. Und – die Bodenplatten versorgen die meisten Maschinen über Induktion mit Energie. Bei uns wird Science-Fiction wahr, nicht wahr?“
Er kicherte. Alle starrten fassungslos auf den Boden. Unglaublich.
Je weiter sie in die Halle vordrangen, desto kleiner kamen sie sich vor zwischen den riesigen Kesseln und dieser futuristischen Technik. Karlo deutete nach links und nach rechts und kommentierte noch einmal das von oben Beschriebene in nah.
Die Anlage von oben zu sehen war schon beeindruckend, jedoch unten zu sein, war umso beeindruckender.
„Das ist es also, was sie so eifersüchtig absichern wie einen Schatz. Jetzt kann ich den Hype verstehen. Welch ein Fortschritt! Mal fragen, ob sie auch ihre Software so eifrig abgesichert haben“, meinte ER.
„Ganz bestimmt. Die haben sicher die besten Sicherungssysteme und Antivirenprogramme von ganz Gaia Nova“, meinte SIE fest überzeugt.
Karlo antwortete prompt von ganz vorn:
„So ist es. Wir haben ein Hacker-Spezialistenteam von Weißen Hüten eingesetzt. Sie kümmern sich permanent um das Aufdecken von Sicherheitslücken. Wir haben immer die Besten des Landes angestellt. Kommt ein neuer Weißer Hut ins Team und ein anderer scheidet aus, wir nennen das uploaden, dann werden sämtliche Sicherheitsmauern digital erneuert. So kann selbst ein ehemaliger Mitarbeiter, der die Anlage wie seine Westentasche kennt, dem Unternehmen keinen Schaden zufügen.“
Allein Größe, Höhe und Anzahl der Kessel waren beeindruckend. Dazu die unzähligen Rohrsysteme, wo man nur dachte, wer das wohl konstruiert hat und wer da wohl noch durchblickte. Computer, wer sonst. Die wurden immerhin von Menschen so programmiert. All dies hatten Menschen konstruiert, und die KI optimierte.
Alles war beeindruckend sauber, steril.
Beeindruckend, ja, aber es stimmte ER sehr nachdenklich, wenn er an all die Monokulturen samt Düngung, Giftspritzereien, Wasserabzapfen und Bauernvertreibungen dachte. Es war solch ein krasser Gegensatz. Die Anlage war beeindruckend, die Brizzel-Kioske, LIMO an sich auch, aber es durfte nicht auf Kosten von Ausbeutung und Zerstörung geschehen. Wie konnte dieses System geändert werden? Da brauchte es mehr als ein Wunder, denn Kaiser war ein Imperium, das Machtmonopol Nummer Eins in Gaia Nova.
Karlo positionierte sich auf einem markierten Platz und gab ein Zeichen, dass sich alle um ihn herumstellen durften, also zwischen grünen Linien und ihm.
Skipper, SIE und ER standen hinten.
„Wir können alle vom Boden essen, so sauber ist es“, staunte SIE nun schon zum dritten Mal.
„Das Gesetz schreibt es vor und wir folgen den allerhöchsten Hygiene- und Qualitätsstandards, die es in Gaia Nova in Produktionsstätten für Nahrungsmittel gibt. Ihr könnt mir glauben, dass wir alle sehr stolz darauf sind“, kommentierte Karlo von ganz vorn. Wie hatte er das nur hören können?
„Meine Sensoren sind ultrasensitiv eingestellt, daher kann ich selbst mehrere parallele Gespräche in einem bestimmten Umkreis verstehen, aufnehmen und schlussfolgern, ob ich eine Antwort geben kann“, kam prompt die Antwort. Konnte er auch Gedanken lesen?
Kleine Putzrobots putzten hinter ihnen her, insbesondere hinter dem Rollstuhlfahrer, da dieser keinen Schutz um seine Räder hatte. Bevor er in die Halle gefahren war, hatten sie diese natürlich intensivst desinfiziert.
Sie passierten den einzigen Angestellten, einen Ingenieur, der hier in dieser riesigen Halle arbeitete. Sie hatten ihn schon von oben mit seinem Häubchen gesehen. Er stand vor einer Reihe von über- und nebeneinander hängenden Bildschirmen, davor Tablets mit digitalen Tastern und Reglern.
ER blieb interessiert stehen. Ebenso der Herr im Rollstuhl. Sie konnten nichts verstehen, nicht ein einziges Diagramm. Schaltpläne, Tabellen, Kurven, Zahlen, leuchtende LEDs und unzählige Kameraeinstellungen. Faszinierend.
„Das ist hochkomplex und braucht ein eigenes Studium“, bemerkte ER.
„Das stimmt. Es ist schon genial“, meinte der Häubchen-Ingenieur freundlich.
„Das ist Highend! Besser geht nicht“, meinte ER bewundernd und kam fast ins Taumeln, als er die vielen Bildschirme nach oben verfolgte. Er stützte sich gerade noch beim Rollstuhlfahrer ab, der vor Schreck zusammenzuckte.
„Entschuldigen Sie“, meinte ER. Der Häubchen-Ingenieur drehte sich erstaunt um und meinte:
„Entschuldigen Sie auch mich. Ich hatte Sie nicht bemerkt. Ich kann gern einen Schritt beiseite gehen, damit Sie einen Blick…“
Plötzlich tauchte Karlo auf:
„Bitte nicht eigenständig von der Gruppe entfernen! Aus Sicherheitsgründen ist dies nicht erlaubt. Sie beide haben unerlaubt den grünmarkierten Weg verlassen. Bitte halten Sie sich an die Regeln. Wir gehen weiter zur Abfüllanlage. Bitte folgen Sie mir zügig“, sagte Karlo in einem strengen Tonfall, und anderer Stimme.
Der Häubchen-Ingenieur blickte kurz zu Karlo und nickte:
„Alles in Ordnung. Sie würden nichts von dem verstehen. Sie wissen ja, über den Boden wird die Ansicht verändert, wenn sich Fremde nähern. Aber wo Sie gerade hier sind…“ er räusperte sich. „Ich meine natürlich, du, wo du gerade hier bist, Karlo. Ich habe da eine Frage: Bleibt es dabei, dass ich einen Teil der Anlage in zehn Minuten für zehn Minuten abschalte, damit der Techniker das Ventil bei Kessel 5 austauschen kann? Dessen Druckanzeige zeigt auch nach einer Stunde noch zu starke Schwankungen auf, was Kontrollanzeigen widerlegen, und scheint wirklich defekt. Ich frage nur, wegen der Führung.“
„Das ist gar kein Problem, Edgar. Es wird durchgeführt wie geplant. Die Gruppe ist dann mit der Produktion durch und kann sich aus Sicherheitsgründen zur Überbrückung eine LIMO-Probe im Aufenthaltsraum gönnen, stimmts, Karlo?“, sagte die Stimme und Karlo übernahm Punktum:
„Zehn Minuten bis zur Abfüllanlage ist kein Problem. Ich berechne neu.“
Die andere Stimme übernahm wieder:
„Karlo. Genauere Anweisung: In nicht mehr als zehn Minuten bist du mit deiner Gruppe im Aufenthaltsraum zur LIMO-Probe. Du kannst ihnen dort mehr als zehn Minuten Zeit lassen. Jedoch nicht länger als 30 Minuten. Du bekommst ein Signal, wenn der Techniker fertig ist. Dann kannst du deine Führung in der Abfüllanlage fortsetzen, aber in geänderter Reihenfolge: einen kurzen Einblick in die PET-Abfülltechnik geben, die materialschonende Streckblasmaschine für die PET-Flaschen wäre interessant, Flaschenhalssterilisation, Kühltunnel mit Spritzdüsensystem, Blick in die automatische Etikettier-, Pack- und Palettier-Technik und dann von Fenster 27 einen Blick in das Logistikzentrum mit unserem vollautomatischen Warenlager. Es stehen noch 25 Auslieferungen an. Es wird im Akkord gearbeitet. Das Lager wird sie flashen.“
Karlo übernahm wieder. Das Ganze hatte etwas von einem Schizo-Robot:
„Ich verstehe. LIMO-Probe ist neu im Programm. Ich berechne Ablauf und Zeit neu. Ist geregelt. Bitte folgt mir.“
ER und der Rollstuhlfahrer eilten Karlo hinterher. Er hatte wirklich Tempo drauf. Währenddessen informierte Karlo im Vorbeieilen:
„Hier wird der Saft pasteurisiert, das bedeutet, er wird haltbar gemacht. Dazu wird er schonend auf 85 Grad erhitzt. Somit wird die Gärung verhindert, Inhaltsstoffe werden geschont und der vorzügliche Geschmack bleibt erhalten.
Schlauer Junge, was haben wir bisher gesehen?“, fragte Karlo einen der überraschten Zehner, kaum, dass sie bei der Gruppe angekommen waren.
„Äpfel geerntet, Äpfel abgeliefert, Äpfel gewaschen, faule Äpfel aussortiert, Äpfel zerkleinert, zur Maische gepresst, Saftprobe zwischendurch, Saft haltbar gemacht“, kam es wie aus der Pistole geschossen.
„Wenn das in der Schule mal auch so wäre“, staunte dessen Mutter.
„Sehr richtig. Der Saft wird durch diese schonende Pasteurisierung sauerstoffarm und keimfrei. Steril eingelagert ist er sehr lange haltbar.“
„Verwendet LIMO Farb- und Konservierungsstoffe?“, fragte der kritische Rollstuhlfahrer.
„Nein. Wir verwenden keine Farb- und Konservierungsstoffe.“
ER beobachtete den Herrn im Rollstuhl etwas verwirrt. Seine Haare sahen anders aus. Sie waren verrutscht. Untendrunter schauten dunkle Haarzipfel heraus. Außerdem sah er unablässig zur Uhr.
ER rückte unauffällig neben ihn, bückte sich noch unauffälliger und fummelte megaunauffällig an seinem Schuh, während er dem Rollstuhlfahrer zuflüsterte:
„Ihre Haare. Sie sind etwas verrutscht. Wollte ich nur sagen.“
Dann richtete sich ER lächelnd wieder auf.
„Danke für den Hinweis. Muss Perücke tragen seit der Chemo. Alle Haare ausgefallen.“
„Oh, tut mir leid“, meinte ER gespielt betroffen, denn er war nicht blind, was die ausgefallenen Haare und die schwarzen Zipfel unter der Perücke angingen.
„Alles gut überstanden. Alles wird wieder gut“, meinte er und zwinkerte ER zu.
Was sollte das denn nun bedeuten? ER war schon paranoid. Sie waren aber sofort abgelenkt, als sie in einem der Anlage entsprechenden sachlich nüchternen Aufenthaltsraum eintrafen. In der Mitte stand ein riesengroßer Tisch mit ausreichend Stühlen drumherum. An jedem Platz stand schon vorbereitet ein Glas, natürlich mit Brizzel - Gute Laune LIMO-Logo, und in der Mitte wohl sämtliche LIMO-Sorten, die LIMO zu bieten hatte. Alles voll. Keiner merkte, dass dies nicht zur regulären Führung gehörte. Sie hatten ja gerade mal vor einer halben Stunde Apfelsaft probiert. Eigentlich ging es hier nur um Apfelsaft und Apfelschorle, die LIMO hier im Norden produzierte.
Okay, LIMO-Party.
„Bitte nehmt Platz. Die Firmenleitung lädt alle zu einer LIMO-Probe ein. Alle 20 LIMO-Sorten des Hauses sind hier vertreten. Sie werden natürlich nicht alle hier hergestellt. Theoretisch könnte diese Anlage das erfüllen. Je nach Auftragslage kann auch hier mit den entsprechenden Saftkonzentraten jede gewünschte LIMO hergestellt werden. Woraus besteht ganz gewöhnliche Limo?“, fragte Karlo während alle Platz nahmen.
„Aus Zuckerwasser, Kohlensäure und Geschmack“, meinte eine Frau.
„Aus Saftkonzentraten“, meinte der pfiffige Zehner.
„Das ist richtig und das ist richtig. Viele Wege führen zur Vielfalt von LIMO. Die Saftkonzentrate werden in jedem Land je nach Sorte hergestellt. Natürlich in geheimer Rezeptur. Je nach Auslastung und Bedarf kommen sie in die Abfüllung. Entweder gleich vor Ort oder in die insgesamt zehn Abfüllanlagen von Nordvolk. Oder in die 77 Anlagen in Gaia Nova.
Dort erst wird der Sirup mit Wasser auf die ursprüngliche Konzentration verdünnt, mit Zucker und Kohlensäure ausgemischt und in Flaschen abgefüllt. Das spart erheblich Transportkosten durch das reduzierte Gewicht… Und hilft der Umwelt“, erklärte Karlo. ER hätte schwören können, dass der Nachsatz wieder diese andere Stimme war. Paranoid. Er mochte nicht einmal mit Skipper und SIE über den Schizo-Robot sprechen. Karlo mit seinen Sensoren war irgendwie überall präsent. Wahrscheinlich wurden sie von einer riesigen Zentrale auf zig Bildschirmen beobachtet und belauscht. Jeder von den Besuchern auf einem eigenen Bildschirm.
Karlo nickte dem Rollstuhlfahrer zu und zeigte einen Zwinker-Smiley auf seinem Display. Alle lachten. Der Rollstuhlfahrer lächelte, künstlich. Der hatte knallrote hektische Flecken im Gesicht. ER spürte, dass es diesem Mann genauso ging wie ihm. Die anderen merkten nix.
Karlo erzählte weiter:
„Im Prinzip ist gewöhnliche Limonade ganz einfach in der Herstellung. Alles wird zusammengetragen, vermischt und abgefüllt.“
„Die einzelnen Zutaten sind doch sehr günstig. Wieso ist eine Flasche Limo denn so teuer?“, fragte ein Herr.
„Das ist richtig. Bitte beachtet, dass der Preis im Laden günstiger ist als in einem Restaurant. Hier verdient der Wirt. Dazu kommt der Gewinn für den Händler und die Kosten für den Transport. Abzüglich der Herstellungskosten und der Kosten für das Abfüllen bleibt etwa ein Sechstel des Preises bei LIMO. Ein Drittel davon fließt in unsere Brizzel – Gute Laune LIMO-Werbung. Der Rest bleibt für Anlage und Mitarbeiter, die gut bezahlt werden. Nicht zu vergessen unser IT-Netzwerk mit begnadeten Netzarchitekten und unsere großen Forschungslabore. Wir haben einen Entwicklungsbereich für die IT und einen für neue LIMO-Sorten. Diese zumeist außergewöhnlichen LIMO-Sorten, liebe Besucher, dürft ihr jetzt testen. Ich werde sie nacheinander kurz vorstellen:
Direkt von Nordvolk:
Wilder Apfel und Magischer Holunder.“
Auf jeder Limo stand sogar oben der Hinweis: Direkt von Nordvolk. Das war ER bei Mister Bist gar nicht aufgefallen.
„Wir haben das Design vor Kurzem erst aktualisiert. So kann jeder in jedem Land erkennen, aus welchem Land die Saftkonzentrate stammen. Es stärkt das Bewusstsein der unterschiedlichen Kulturen und die Vielfalt der Menschen. Leopold Kaiser sieht dies als Symbol der Wertschätzung.“
Paranoia. Sie konnten Gedanken lesen, Karlo und die Stimme… Intuitiv musste ER den Rollstuhlfahrer ansehen, der seine Hand fest in seine Armlehne krallte, dass die Knochen schon weiß hervorsahen. Doch dann entspannte er plötzlich wieder und ein Lächeln schob sich in sein Gesicht. Die Perücke saß zwar wieder richtig, doch es lugten noch ein paar schwarze Spitzen heraus. Höchst sonderbar.
Plötzlich ein Flackern des Lichtes. Auch Karlos Lichter und Display gingen kurz aus und gleich wieder an. Er sagte nur:
„Ich berechne neu.“
Butler 5 fuhr an allen Stühlen vorbei, damit jeder einen Flaschenöffner mit dem Brizzel – Gute Laune LIMO-Logo herausnehmen konnte. Doch noch wagte keiner, die Flaschen zu entkronkorken.
Sie besahen sich alle ihren neuen Schatz und hofften wohl alle, dass sie diesen Schatz ihr Eigen nennen durften.
„Ein kleines Werbegeschenk von der Geschäftsleitung“, sagte Karlo und alle im Aufenthaltsraum fühlten sich um einen Flaschenöffner reicher. Besonders die Kinder und Teenies. Es sprach wieder die andere Stimme, eindeutig. ER tauschte mit dem Rollstuhlfahrer einen verschwörerischen Blick aus. Der nickte unauffällig. Sehr konspirativ.
„Auf dem Tisch stehen Glasflaschen. Wir haben eine Abfüllanlage für Glasflaschen und eine für PET. Beides hat Vorzüge.
Sie werden gleich nach der LIMO-Probe beide Abfüllanlagen besichtigen können und auch abschließend einen Blick in unser Highend-Lager werfen dürfen, wo ebenfalls alles vollautomatisiert abläuft, über die Palettier-Maschinen zum Elektrohängebahnensystem. Statt der früher herumwuselnden Gabelstapler werden unsere Flaschen computergesteuert in einem Hochregallager eingelagert. Kein Mensch kommt seither mehr zu Schaden. Nachts machen Robots in aller Ruhe Bestandsaufnahme im Lager, genauso, wie nachts die Bestände in unseren Brizzel-LIMO-Kiosken aufgenommen werden.“
„Nicht zu Schaden kommen ist lustig, wenn man bedenkt, wie viele Menschen durch diese Automatisierung ohne Arbeit sind“, platzte es vom Rollstuhlfahrer heraus. Natürlich antwortete die andere Stimme:
„Dann möchte ich dies gleich klarstellen. In unserem hiesigen LIMO-Betrieb arbeiten 50 feste Mitarbeiter. Das ist zugegeben wenig, denn dies ist die modernste Anlage von ganz Gaia Nova. Zählen wir die anderen neun Standorte von Nordvolk dazu, sind wir eine nationale Firmenfamilie von 2.000 Mitarbeitern. Zählen wir alle Mitarbeiter von Gaia Nova dazu sind wir bei knapp 20.000, mit dem Rest der Welt zusammen liegen wir bei 110.000 Mitarbeitern. Wenn wir jetzt noch die Lizenznehmer, Transportunternehmen, landwirtschaftlichen Betriebe, sämtliche Zulieferer vor Ort einberechnen, mit denen wir Kooperationen eingehen, sind wir ganz schnell bei vielen Millionen Menschen weltweit, die durch LIMO eine gute und sichere Arbeit haben und ihre Familien ernähren können. Wenn wir dann das Auftragsvolumen der Brizzel-Kioske dazurechnen und die dadurch generierten Arbeitsplätze, dürfte sich diese Hightech-Anlage doch mehr als rechtfertigen. Arbeitsplätze sind heutzutage sehr viel wert, da haben Sie vollkommen recht. Aber wir sind der Meinung, dass der Mensch nicht zur Knüppelarbeit geboren wurde, das können Maschinen durchaus besser und schneller. Und sie kriegen dabei keine Kreuzschmerzen, nicht wahr, Karlo?“
Karlo nickte mit einem Supersmiley. Dass diese Schizo-Nummer keinem auffiel? Nicht einmal SIE machte Anzeichen. Nur der Rollstuhlfahrer.
Alle nickten andächtig. Der Rollstuhlfahrer verbiss sich einen Kommentar. Wenn er könnte, wäre er Karlo sicher schon an die Gurgel gegangen, so wütend sah er aus. Er blickte auf die Uhr und entspannte wieder. Vielleicht hatte er einen besonders beruhigenden Smiley abgebildet. Konnte ER auch gut gebrauchen.
Karlo blickte den Rollstuhlfahrer an, der lächelte und nickte.
Frieden wiederhergestellt.
„Glasflaschen sind besser, weil man sie bis zu 50-mal wieder befüllen kann“, meinte die Mutter eines Zehners. Dubioser Weise sprach Karlo in die entgegengesetzte Richtung der Frau.
„Wie gesagt, beides hat Vorzüge. Das ist ein wahrhaftiger Vorzug der Glasflaschen. Sie sind auch für Säfte unschlagbar, da stimme ich Ihnen zu. Aber bedenken Sie, die Glasflaschen müssen natürlich…“ Jetzt drehte sich Karlo in ihre Richtung und sprach weiter, jedenfalls die Stimme:
„Die Glasflaschen im Mehrwegsystem müssen für die Neubefüllung vorbereitet werden. Alte Etiketten werden abgewaschen, gepresst und in einer externen Papierfabrik wieder zu neuem Papier verarbeitet. Die Glasflaschen durchlaufen unsere übergroße Spülmaschine. Wir schaffen 60.000 Flaschen die Stunde. Reinigungsflüssigkeiten werden aufbereitet und wiederverwendet. Danach werden alle einzeln mit Laser auf Schäden gescannt, kaputte werden sofort aussortiert. Alles läuft vollautomatisch. Dann geht es in die Abfüllung. Zuerst in die Ausmischanlage, wo alle Zutaten und Wasser zusammenkommen und mit Kohlensäure versetzt werden. Genau das werden Sie gleich besichtigen können.
Der Prozess unterliegt stets einer genauen Qualitätskontrolle. 45.000 Flaschen pro Stunde. Schraubverschlüsse werden durch die Flaschenverschließmaschine aufgebracht. Bei der PET-Abfüllung liegen wir bei 80.000 Flaschen die Stunde, das ist dank Block-Anlagen die dreifache Menge gegenüber zuvor. Die Abfüllung verläuft zudem schneller und geschmeidiger. Und das werden Sie sicher gern hören:“ Schizo-Karlo schien jemanden zu suchen. Er hielt beim Rollstuhlfahrer inne, der sich einen anderen Platz gesucht hatte und jetzt eine getönte Brille trug. Lesebrille? Getönt? Karlos Stimme erklärte:
„Wir konnten unseren Energie- und Wasserverbrauch drastisch senken, auch dank der Block-Technologie. In alten Anlagen muss noch zum Füllen auf 2 Grad runtergekühlt werden. Jetzt genügt die Umgebungstemperatur. Das ist sensationell und spart Produktionskosten. Energieeffizienz steht an oberster Stelle.
Und immer wieder aufs Neue: Qualitätssicherung und Kontrolle bei jeder Produktionscharge. Der Kohlensäuregehalt wird gemessen und weitere Tests durchgeführt. Zuweilen auch durch die Behörde. Zwischen allen einzelnen Prozessen haben wir Kontrollstellen.“ Karlos Stimme hustete und rief:
„Butler neun, bring mir Wasser!“
Alle Besucher lachten und dachten, es sei ein Witz. War es aber nicht in echt. Die Stimme bemerkte ihre Unachtsamkeit und meinte galant:
„Wenn es mir schon so geht, wie geht es Ihnen erst? Ich erzähle und erzähle und habe ganz vergessen, mit Ihnen zur Probe anzustoßen.“ Karlo verstummte einen kurzen Augenblick, dann übernahm er offensichtlich wieder das Ruder:
„Liebe Besucher, ihr dürft gleich testen. Ich werde die LIMO-Sorten nacheinander vorstellen:
Direkt von Nordvolk:
Wilder Apfel, LIMO aus heimischen Äpfeln. Ihr seid nun eingeweiht in den Herstellungsprozess von Anfang an.
Magischer Holunder, LIMO aus den vitaminreichen Beeren des Hollerbuschs von einer neuen Holunder-Plantage auf den Almen der drei Unterberge im Südwesten des Nordgebirges.
Direkt von Frostaki:
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